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Kunst und die verspätete Wirklichkeit

Wir wissen, dass in den Entwicklungsländern katastrophale Arbeits- und Lebensbedingungen bestehen. Unter lebensgefährlichen Zuständen produzieren in Pakistan, Bangladesch und anderswo in Asien Kleidungsstücke, die in Europa zu Spottpreisen von Edelfirmen verkauft werden. Nicht besser sind die Verhältnisse in Nigeria, wo im Niger-Delta die Ölindustrie das Land ausbeutet, die Umwelt verpestet, lebensbedrohliche Situationen entstehen und die Menschen, denen eigentlich das Land gehört, nur unter der Naturzerstörung leiden, aber von den Profiten nichts erhalten.
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Dutzende Male sind diese Zusände beschrieben und beklagt worden, doch kaum hat sich etwas verbessert. Jetzt ist einer aufgewacht: Deutschlands Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat die Autofahrer indirekt zum Boykott von Shell aufgefordert, weil dieser Ölkonzern im Dienste unseres Wohlstandes die Natur zerstöre. Wörtlich sagte er: Wenn Sie in das Nigerdelta gehen und dort den Standard der Ölförderung sehen, würde keiner von Ihnen an der Tankstelle der Ölfirma, die dort fördert, tanken.
Weiß der Minister wirklich, was er sagt und wie er damit die Ölkonzerne, allen voraus Shell, herausfordert? Doch immerhin: Löblich ist, dass dem Minister unwohl geworden ist, als er das Nigerdelta besuchte. Allerdings muss man fragen, wieso sich Herr Müller erst jetzt mit diesem Problem beschäftigt. Denn seit Jahren schon beklagen Umweltaktivisten die menschenverachtenden Produktionssysteme. Selbst die Kunst war ihm um Jahre voraus.
Zur documenta 12 (1972) hatte Roger Buergel den afrikanischen Fotojournalisten George Osodi eingeladen, Bilder aus seiner Heimat, dem Nigerdelta, zu zeigen. Die Bildserserie, die im Aue-Pavillon zu sehen war, verzichtete auf jeden Kommentar. Die Kraft der Bilder war auch so zu verstehen – die physische und militärische Gewalt, das giftige Öl und die Brände, die zerstörte Umwelt und die hoffnungsvollen Kinder.

Man musste nicht erst dorthin fahren, man verstand auch so die Katastrophe. Die politische Wirklichkeit hatte sich um Jahre verspätet.
Eine gute Entscheidung traf die Ankaufskommission, als sie sich 2007 für den Erwerb der Bilderserie und ihrer Installation entschied. Die Arbeit gehört heute der Neuen Galerie in Kassel.Zusammen mit den anderen Ankäufen war sie etwa ein halbes Jahr zu sehen und befindet sich jetzt im Depot.

10. 9. 2014

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