Archiv für den Monat: Januar 2010

Ein Platz für die Ewigkeit

Ein ungewöhnliches Skulpturenprojekt gewinnt Form: Fritz Schweg1er schuf mit seinem Sarkophag den dritten Beitrag zu dem Künstlerfriedhof im Kasseler Habichtswald.

Die großen Monumente zu Ehren Toter überdauerten Jahrtausende. Die Pyramiden und anderen Formen von Totenhäusern entfalteten im Laufe der Geschichte eine solch starke Kraft, daß die Fürsten, als sie Parks anlegen ließen, auch Schein-Monumente des Todes mit hineinstellen ließen. An diese Gegebenheiten knüpfte der Bildhauer Prof. Harry Kramer an, als er die Idee zu einem Künstlerfriedhof (Künstler-Nekropole) in Kassel entwickelte: Künstler, die an der documenta beteiligt gewesen waren, sollten dazu eingeladen werden, Todesmonumente zu gestalten, die dann eines Tages ihre eigene Asche aufnehmen würden. Ein Jahrzehnt lang mußte er kämpfen, bis aus der Idee ein wirkliches Projekt werden konnte.

Kramer geht es vornehmlich darum, der weitgehend ortlos gewordenen Skulptur im Dialog mit der Parklandschaft wieder zu einem festen Platz zu verhelfen. Er trifft sich dabei mit den Initiatoren des Gothaer Skulpturenprojektes, die ebenfalls von der behutsamen Auseinandersetzung mit Architektur und Natur ausgehen. Mit der Festlegung auf wirkliche Grabmonumente bezieht Kramer zugleich eine Gegenposition zu den Scheingräbern.

Im Laufe der Jahre sollen 40 Künstler rund um den Blauen See im Habichtswald Grabskulpturen errichten. Jetzt hat der in Düsseldorf lebende und lehrende Künstler Fritz Schwegler (Jahrgang 1935) den dritten Beitrag zur Kasseler Nekropole geliefert. Das Projekt nimmt nun Gestalt an: Schweglers bei aller Schlichtheit barock wirkender Sarkophag wird zum Signal. Er steht auf einer Anhöhe oberhalb des Sees, ist weithin sichtbar und wirkt mit seinem grauen Lava-Basalt-Gestein so, als hätte er schon immer dort gestanden.

Fritz Schwegler ist ein Künstler, der malend, formend und schreibend seine eigene Welt gestaltet. Seine Bilderfindungen ähneln Irrgärten, die faszinieren, verwirren und ihr Geheimnis nicht preisgeben. So ist auf der einen Seite der unauflösbare Satz eingemeißelt: „Weiszt du, weil ich hier bin und du bist auch hier“. Auf der anderen Seite ist der Rätselsatz zu lesen: „Lebensmüde? – Abulvenz!“

Die Sprache wird ebenso zum Spielmaterial wie die plastische Form. So ist in die dem Tod gewidmete Skulptur auch etwas von der lebenserhaltenden Gelassenheit und Heiterkeit hineingeholt. Das verbindet Schweglers Arbeit mit der beinahe unsichtbaren Grab-Sku1ptur von Timm Ulrichs: Der in Hannover lebende Künstler hat den Abguß seines Körpers als Hohlform kopfüber in den Boden versenkt. Eine Glasplatte läßt allein die Fußabdrücke sichtbar werden.

Die Bewahrung des Geheimnisses zeichnet alle bisherigen Projekte aus: Rune Mields hat als erste Künstlerin eine Bodenarbeit aus 97 weißen und schwarzen Quadern mit dem Monteverdi-Zitat „La vita corre comme rivo fluente“ (Das Leben läuft wie ein fließend Fluß) gestaltet.

HNA 5. 11. 1993