Vom Bild zum Wort und wieder zum Bild

Ausstellung Barbara Beisinghoff im Museum Bad Arolsen

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
auch ich begrüße Sie herzlich zur Eröffnung einer äußerst dichten und vielschichtigen Ausstellung. Es handelt sich um die bisher umfangreichste Werkschau der jetzt in Diemelstadt-Rhoden lebenden Künstlerin Barbara Beisinghoff. Die sich über zwei Etagen hinziehende Ausstellung ist der Raumfolge entsprechend in elf Werkgruppen unterteilt. Dazu gehört neben Bildern und Installationen zu jedem Raum ein Künstlerbuch.
Das Werk ist unglaublich komplex, und die einzelnen Bilder sind innerhalb der grafischen Kunst unvergleichlich. Wie schafft das Barbara Beisinghoff, so habe ich mich (und die Künstlerin) gefragt, Ordnung in ihrem Kopf (und in der gestalteten Hand) zu schaffen, da sie doch offenbar in jedem einzelnen Moment so viele Ideen und Assoziationen gleichzeitig empfängt, die in die unterschiedlichsten Richtungen weisen und trotzdem unauflöslich zusammengehören? Hier geht es um das Schöpfen des monumentalen Papierbogens, da dreht sich alles um den Wasserstrahl, den die Künstlerin wie eine schneidende Feder einsetzt, und dort nisten sich Worte und Zeilen als grafische Strukturen und Botschaften ein. Alle Elemente durchdringen sich gegenseitig. Das bedeutet für uns als Betrachter, dass auch wir gleichzeitig die Stofflichkeit der Werke registrieren und die Machart studieren müssen, dabei aber den kompositorischen Aufbau und die Elemente der Bildsprache nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Am Ende aber müssen wir darauf gefasst sein, dass sich das Geheimnis der Kompositionen nur unzureichend entschlüsseln lässt. Kunst bezieht eben ihre Spannung aus dem Rätselhaften.
Das Ungewöhnliche an Barbara Beisinghoffs grafischem Werk ist das ganzheitliche Denken und Arbeiten. Das beginnt damit, dass sie das Papier, auf das sie druckt und in das sie Bildpartikel einfügt, entweder selbst schöpft oder in ihrem Auftrag schöpfen lässt. Mal entsteht aus einem Brei aus Lumpen ein neuer Papierbogen, dann wieder wird das Papier aus Seidelbast gegossen. Die großformatigen Bögen wachsen aus der Fläche heraus, entwickeln plastische Qualität und verwandeln sich zu reliefartigen Bildern, zu Bildräumen. Verstärkt wird die Wirkung dadurch, dass viele Großformate nicht gerahmt sind, sondern frei vor der Wand oder im Raum hängen.
Das Wort von der Schöpfung gewinnt hier eine neue Bedeutung. Denn indem ein im Schöpfrahmen verteilter Papierbrei aus dem Wasser geborgen wird, wird ein Bildkörper geboren, der auf vielerlei Weise bearbeitet werden kann. Den vielleicht wichtigsten Schritt für die Entwicklung ihrer Kunst unternahm Barbara Beisinghoff, als sie die Herstellung von Wasserzeichen in ihre Arbeit einbezog. So konnte sie sich auf immer neue Entdeckungsreisen begeben, um die Bilder zu öffnen, das heißt transparent zu machen und ihre Vielschichtigkeit herauszuarbeiten. Deshalb sehen Sie in nahezu allen Räumen Bilder, die vor den Fenstern oder anderen Lichtquellen hängen und die mit dem Wechsel des Lichts (oder Schattens) unterschiedliche Wirkungen erzielen. In dem Vorraum zu der schmalen Treppe, die an das Dachgeschosskabinett führt, hat die Künstlerin eine kleine Bühne installiert, auf der man fünf transparente Bilder im freien Raum unter wechselnden Beleuchtungen betrachten kann. Es ist faszinierend zu beobachten, welche unterschiedlichen Effekte dadurch entstehen.
Nachdem Barbara Beisinghoff einmal entdeckt hatte, welche Gestaltungskraft das Wasser bei der Papierherstellung gewinnen kann, ging sie bald einen Schritt weiter und setzte den gezielten Wasserstrahl ein, um lineare und plastische Strukturen herauszubilden oder transparente Zeichnungen einzutragen.
Einige Kompostionen erscheinen wie ein Chaos aus Formen und Zeichen. Dabei erkennt man nicht unbedingt auf den ersten Blick, dass ganz alltägliche Dinge die Druckvorlagen geliefert haben. Häufig handelt es sich um Bruchstücke alltäglicher Gegenstände, die greifbar scheinen, sich aber dem Zugriff entziehen. Ähnlich ratlos machen im ersten Moment die Worte oder Satzfetzen, die aus der Tiefe auftauchen oder auf den Schichten schweben. Zuweilen bleiben die Wortfolgen Bildinseln, manchmal jedoch verdichten sie sich zu Texten. Aber darauf will ich später noch kurz eingehen.
Die meisten Kompositionen – insbesondere die größeren Arbeiten – entziehen sich dem direkten Zugriff. Sie scheinen weit ausschweifende Geschichten zu erzählen, geben aber die Inhalte nicht unmittelbar preis. Und doch glaubt man immer wieder, gleich die Dinge fassen und verstehen zu können. Hier bilden sich landschaftsähnliche Flächen heraus, da werden konstruktive oder architektonische Ansätze erkennbar und dort formen sich Kreise und transparente Kugeln aus. Am meisten überrascht, wenn man zwischen den rätselhaften Formen menschliche Figuren und Gesichter entdeckt – mal mehr angedeutet, dann aber kraftvoll bis hin zum eingefügten fotografischen Porträt oder zur vollendet ausgeführten Umrisszeichnung einer Frau und Mutter.
Obwohl die Grafikerin nicht als Malerin verstanden werden will, setzt sie die Farbe als Ordnungsfaktor ein. Sehr schön sichtbar wird das in einem Erdgeschossraum , in dem die drei großen Bildkörper in den Grundfarben Gelb, Rot und Blau gestaltet sind. Da entsteht ein Dreiklang, der nicht in den Bildern selbst angelegt ist, sondern in ihrer Zusammenführung zu dieser Ausstellung. Barbara Beisinghoff ist alles andere als eine abstrakt arbeitende Künstlerin. Gleichwohl werden Sie einige wenige ungegenständliche Kompositionen betrachten können. Das eine hängt im ersten Stock in dem Raum am Ende des Flures und leuchtet Ihnen gelb entgegen. Dieses Bild hat Barbara Beisinghoff beim Schöpfen so stark aufgedickt, dass es zu einem massiven Relief mit plastischen Strukturen geworden ist. Das andere finden Sie in der anderen Raumfolge im ersten Stock. Es wirkt leicht und dynamisch, weil die roten Zeichen auf blauem Grund Bewegung in das Bild bringen.
Barbara Beisinghoff denkt über das rechteckige Bild hinaus. In den Vitrinen im ersten Obergeschoss sehen Sie beispielsweise Rollbilder und eine großformatige weiße Spirale, die mit ihren Auf- und Durchbrüchen wie eine Partitur erscheint und zum Musizieren einlädt.

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Barbara Beisinghoff versteht sich als Grafikerin. Deshalb bilden die grafischen Techniken, insbesondere die Radierung, das Zentrum ihrer Arbeit. Bei der Radierung wird eine Zeichnung in eine Druckplatte eingegraben. Dann wird die Platte eingefärbt und wieder abgewischt, wobei in den Vertiefungen die Farbe erhalten bleibt. Nun wird die Platte auf ein feuchtes Papier gelegt, so dass in der Druckerpresse die Farbe von der Platte auf das Papier übertragen wird.
Künstler nutzen die Radierung, um eine Bildidee vervielfältigen zu können. 30, 50 oder gar 100 Abzüge von der einen Platte sind nichts Ungewöhnliches. Daneben gibt es aber Künstlerinnen und Künstler, denen es nicht um eine möglichst weite Verbreitung des einen Bildes geht, sondern die die Radiertechnik nutzen, um aus dem einen Ansatz immer neue, sich überlagernde Kompositionen zu entwickeln. Das heißt, dass sie von der Platte einen Abzug herstellen, um dann die Ursprungszeichnung weiter zu entwickeln. Dann folgt der nächste Abzug und wieder geht die Überarbeitung weiter. Zustandsdrucke nennt man die jeweils gewonnenen Abzüge. Im Gegensatz zu den Auflagendrucken handelt es sich Einzelstücke, Unikate.
Barbara Beisinghoff liebt diese Vorgehensweise, zumal sie mit außergewöhnlich großen Formaten arbeitet. In der Ausstellung sehen Sie verschiedene Zustandsdrucke, wobei die meisten von uns nicht erkennen würden, dass sie auf eine Platte zurückzuführen sind. Gleich rechts vom Eingang sehen Sie auf der Wandseite vier Radierungen, die Zustandsdrucke der immer gleichen Platte sind. Erst bei einem genauen Studium der Einzelmotive kann man einzelne Formen entdecken, die identisch sind.
Die Reihe dieser Zustandsdrucke setzt sich übrigens in dem letzten Raum am Ende des Flures im Obergeschoss fort. In zwei Jahrzehnten sind aus der einen Radier-Platte insgesamt über 40 verschiedene Bilder entstanden. In diesem langen Prozess, in dem die Zeit zur Mitgestalterin geworden ist, sind die Linien, Zeichen und Figuren immer dichter geworden. Man braucht eigentlich Stunden, um diese letzten Zustandsdrucke lesen und entziffern zu können. Konstruktive Elemente tauchen auf, Gesichter und Fratzen, botanische und organische Formen, und in der rechten oberen Ecke faszinieren Raster, in die Zeichen, Runen und Buchstaben eingetragen sind.
Barbara Beisinghoff beherrscht viele Bildsprachen. Aber der Raum, in dem sie denkt, fühlt und gestaltet, versammelt nicht nur die bildnerischen Elemente; er schließt die Literatur und Musik und alles, was zur kreativen Wirklichkeit gehört, mit ein. Die Wörter und Satzfetzen in den Bildern verweisen auf Dichtungen, Erzählungen und Theorien, mit denen die Künstlerin lebt und aus denen sie immer neue Bezüge herstellen kann. Die Wörter, Halbsätze und längeren Zitate erweitern die Bilder zu Denkräumen. Mit der Künstlerin tauchen wir in komplexe Sprachebenen ein.
Der poetische Titel der Ausstellung – Das Gesetz des Sterns und die Formel der Blume – gibt einen Hinweis darauf. Wie in der Einladung zu lesen ist, bezieht sich der Titel auf das Künstlerbuch Klavierkindheit, das wiederum einem Gedicht von Marina Zwetajewa entnommen ist, die in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu den bedeutendsten Dichterinnen in Russland gehörte und die ein leidenschaftliches, erfülltes und doch tragisch endendes Leben führte. Das Künstlerbuch liegt gleich am Eingang in einer Vitrine aus.
Der Titel hat etwas Programmatisches. Man wird durch ihn hineingezogen in die Weite und Widersprüchlichkeit von Barbara Beisinghoffs Werk. Sie liebt es, Spannungen aufzubauen und die Bilder so anzulegen, dass sie umkippen können. Die Künstlerin eignet sich die Sprache der Dichterin an und indem sie die poetischen Texte in die Bilder überträgt, gewinnen ihre Arbeiten an Tiefe und Zeitlosigkeit.
In zahlreichen Projekten, die zu Bildern oder Künstlerbüchern führten, hat Barbara Beisinghoff mit Zeilen und Versen von Dichterinnen wie Bettine von Arnim, Gertrud Kolmar oder Christa Wolf auseinander gesetzt. Manchmal führt die Beschäftigung mit diesen Dichtungen zu eigenwilligen Lösungen. So hat sie sich durch die Zeile Südwestwärts tanzen kleine blaue Stühle aus Gertrud Kolmars Gedicht Spielzeug dazu inspirieren lassen, in eine leuchtend blaue Scheibe vier kleine (nun allerdings weiße) Stühle einzugravieren. Ein anderes Geicht von Gertrud Kolmar – Die Kinderdiebin – regte die Künstlerin dazu an, eine Installation zu schaffen, die an einen Zaubergarten erinnert. In dem Gedicht ist von 13 gläsernen Zimmern die Rede. Und Barbara Beisinghoff hat nun im ersten Stock in dem Raum, in dem auch die blaue Scheibe mit den Stühlen vor dem Fenster hängt, in zwei halb geöffnete Türen zwei großformatige Bilder gehängt, die mit ihrer vom Licht durchfluteten Transparenz an ein gläsernes Zauberschloss denken lassen.
Damit bin ich bei dem letzten Aspekt, auf den ich aufmerksam machen möchte. Barbara Beisinghoff wird bei ihrer Arbeit von einer unbändigen Experimentierlust angetrieben. Dazu gehört auch, dass sie sich zuweilen auf das Spielerische und Unterhaltende einlässt, dass sie ihrem untergründigen Humor Raum gibt. Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern: Mehrfach hat sich die Künstlerin mit Goethes Farbenlehre beschäftigt. Sie hat Bilder mit dem Hinweis auf den Farbenkreis gestaltet und sie hat Zeilen aus der Lehre übernommen. Im Erdgeschoss, in dem Räume der Farbenlehre gewidmet sind, sehen sie auch das Bild eines Farbenkreises, in den die Künstlerin Auszüge aus der Farbenlehre zitiert. Doch der Farbenkreis wird zur bloßen Folie, denn den sechs Farbfeldern werden sechs Bilder von Frauen aus Goethes Leben zugeordnet. Zudem ist jeder Vignette mit einem Porträt ein kleines Bild zugeordnet, das auf ein Charakteristikum der jeweiligen Frau verweist. Im Handumdrehen wird auf diese Weise aus der wissenschaftlichen Betrachtung ein heiteres Spiel um Genies, ihre Vorlieben und Schwächen.

16. 5. 20014

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