Das Kleine und der Hang zum Großen

Von Jan Hoet und Catherine David zu Roger M. Buergel – Einlassungen der documenta-Leiter

KASSEL. Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. Trotzdem gibt es immer wieder überraschende Parallelen in den Abläufen. Ein Beispiel dafür bietet Roger M. Buergel (41), der für das Jahr 2007 die documenta12 in Kassel vorbereiten soll. Buergel hat sich bisher vor allem durch kleine Ausstellungen sein Ansehen erworben, und er macht keinen Hehl daraus, dass er Großausstellungen eigentlich nicht mag. Was aber ist mit der documenta? Die gleiche Frage stellte sich vor 15 Jahren, als der belgische Museumsdirektor Jan Hoet (Gent) zum künstlerischen Leiter der documenta IX berufen wurde. Knapp ein Jahr vor seiner Wahl hatte Jan Hoet nämlich im Kasseler Kunstverein einen Vortrag über den Sinn und Unsinn von Großausstellungen gehalten. Dabei hatte er sich auf gute eigene Erfahrungen berufen können. Denn 1986 hatte er international damit Aufsehen erregt, dass er unter dem Titel Chambres damis eine Ausstellung auf 59 Genter Wohnungen verteilt hatte. Der Charme dieser Inszenierungen im privaten Umfeld machte Hoet berühmt und zum Kandidaten für die documenta-Leitung. Als Hoet dann 1992 seine documenta organisierte, hatte er wohl auch paar kleine Schauplätze dabei, aber insgesamt präsentierte er die documenta als die umfangreichste Ausstellung. Schon zehn Jahre zuvor hatte Rudi Fuchs die Erfahrung machen müssen, dass sein erster Gedanke, eine rigide Auswahl von nur 40 Künstlern in Kassel zu zeigen, nicht durchzuhalten war. Als die Ausstellung stand, hatte er fast die Zahl von 200 Künstlern erreicht. Damit soll nicht behauptet werden, auch Buergel komme an der großen Schau nicht vorbei. Natürlich braucht die Ausstellung auch eine kritische Größe, um international so wahrgenommen zu werden, dass sie als ein Reiseziel lockt. Allerdings hängt diese Größe weder an der Quadratmeterzahl noch an der Länge der Künstlerliste. Also darf man gespannt sein, ob Buergel seiner Ursprungsidee, mit kleinen Modulen (Ausstellungseinheiten) zu arbeiten, treu bleibt und wie er damit umgeht. Immerhin würde eine documenta mit mehreren kleineren Ausstellungsorten (neben dem Fridericianum, dem Südflügel des Kulturbahnhofs und der documenta-Halle) ihm die Möglichkeit geben, verschiedene Formen von Ausstellungspräsentationen zu erproben. Schließlich gilt sein zentrales Interesse dem Umgang mit Kunstwerken, also dem Ausstellen selbst. Man kann sicher sein, dass Buergel schon bald einen Überblick über die Möglichkeiten hat. Denn mit großer Intensität bemüht er sich darum, die documenta-Stadt kennen zu lernen und sich in die hiesige Ausstellungsgeschichte einzuarbeiten. Beim Studium der Schätze im documenta Archiv hat er beispielsweise schon gelernt, wie souverän Arnold Bode in den ersten vier documenta-Ausstellungen mit den Werken und den Räumen umging und mit wie geringen Mitteln er auskam. In ihren theoretischen und gesellschaftskritischen Ansätzen haben Buergel und die Französin Catherine David, die 1997 die documentaX verantwortete, manche Gemeinsamkeiten. Deshalb überrascht auch nicht, dass beide schon wiederholt zusammengearbeitet haben. Gleichwohl unterscheiden sie sich grundsätzlich in ihrer Vorgehensweise. Zwar bemühte sich auch Catherine David darum, die Strukturen Kassels kennen zu lernen, um einen weiteren Aspekt für ihre Auseinandersetzung mit urbanen Räumen zu gewinnen; aber sie scheute sich auch nicht, sich in Interviews aus dem fernen Paris abfällig über ihre Gaststadt zu äußern. Dergleichen haben die Menschen in der documenta-Stadt von Buergel nicht zu befürchten. Er sieht sich bis zum Jahr 2007 als ein Repräsentant der Stadt und ist deshalb auch bereit, deren Bestrebungen zu unterstützen.
HNA, 27. 1. 2004

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