Vorwort

Der 22. Oktober 1943 bescherte Kassel eine Nacht des Schreckens. In nur wenigen Stunden wurden weite Bereiche der Stadt durch eine Flächenbombardierung ausgelöscht, zehntausend Menschen kamen um. Die Zerstörung Kassels wurde zum Trauma – selbst für diejenigen, die erst später geboren wurden und in der Nachkriegszeit aufwuchsen. Der Verlust der eng bebauten Altstadt, der stolzen Bürgerhäuser und Palais sowie der barocken Oberneustadt wurde für viele zur persönlichen Leerstelle. Und je mehr die Identität in der zerbombten Altstadt gesucht wurde, desto schwerer fiel es, sich mit der neu aufgebauten Innenstadt und ihren 50er-Jahre-Bauten anzufreunden.

Aber nicht nur die Zerstörung und der Wiederaufbau veränderten die Stadt. Immerhin sind seit Kriegsende mehr als 60 Jahre vergangen, in denen sich das Stadtbild kontinuierlich wandelte. Man braucht nur an den Holländischen Platz zu denken, der bis in die 60er-Jahre von den Henschel-Werken geprägt war und heute das Tor zur Universität bildet. Vielfach veränderten auch der Königsplatz und der Friedrichsplatz ihr Gesicht.

Deshalb entstand die Idee, die Leser der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) in Kassel aufzurufen, in den eigenen Fotosammlungen nach seltenen oder unbekannten Motiven zu suchen. Das Echo war überwältigend. Kistenweise erreichten uns alte Fotos. Manche Leser schickten auch gerahmte Bilder und ganze Fotoalben.

Bei der Aktion hatten wir als Redaktion mehrere Ziele vor Augen: In einer reich illustrierten Artikelserie wollten wir Zeugnisse der versunkenen Stadt veröffentlichen. Gleichzeitig planten wir in Zusammenarbeit mit dem Verein der Freunde des Stadtmuseums eine Ausstellung in der Kurfürstengalerie, die im Frühjahr 2006 zu einem großen Publikumserfolg wurde. Aus dem Material entstand außerdem das Buch, das Sie jetzt in den Händen halten. Und schließlich haben wir in Kooperation mit der Stadt und den Freunden des Stadtmuseums vor, die verschiedenen Schichten der Stadt-Veränderungen an konkreten Orten wie Königsplatz oder Friedrichsplatz sichtbar zu machen. Dazu verhelfen soll das von der Berliner Agentur art + com entwickelte Timescope, eine Art fest installiertes Fernrohr, das eine Zeitreise durch die Ansichten des Platzes aus den verschiedenen Jahrzehnten ermöglicht. Ein Teil des Verkaufserlöses dieses Buches soll zur Finanzierung des Timescope-Projektes beitragen.

Die Artikelserie, die Ausstellung und das Buch wären ohne die Unterstützung der HNA-Leser nicht zustande gekommen. Ihnen gebührt an erster Stelle der Dank. Zu danken ist ebenso dem Stadtarchiv sowie den Stadthistorikern Werner Dettmar und Hans Germandi, die wichtige Bildbeiträge lieferten. Angestoßen und voran getrieben haben das gesamte Projekt HNA-Chefredakteur Horst Seidenfaden und Gabriela Wolff-Eichel vom Verein der Freunde des Stadtmuseums. Und für die ideenreiche Umsetzung des Text- und Fotomaterials sorgten Klaus Siebenhaar und Steffen Damm vom Berliner Verlag B & S.

Dirk Schwarze
Thomas Siemon

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