Die tiefen Wurzeln der documenta

Arnold Bode zum 100.

Mit einem Ausstellungsreigen, mehreren Publikationen und einer Feier ehrt Kassel den Mann, der die Stadt weltweit zu einem Markenzeichen für die moderne Kunst werden ließ: Arnold Bode, Künstler, Hochschullehrer und Ausstellungsmacher, wäre am 23. Dezember 100 Jahre alt geworden. Sogar die Bundespost ehrt ihn mit einer Briefmarke mit dem „d“ und dem Rot, die zum Symbol der ersten documenten werden sollten. Symbolträchtig starb Bode unmittelbar nach dem Ende der documenta 6 (1977), die ihm endgültig vor Augen geführt hatte, dass sein Kind sich neue Väter gesucht hatte.

Die schönste Ehrung eines Künstlers und Ausstellungsmachers ist die, wenn andere Künstler eingeladen werden, zu seinem Angedenken ihre Werke zu zeigen. Die Kunsthalle Fridericianum und der Kasseler Kunstverein haben dazu verholfen, indem sie Ausstellungen mit den beiden jüngsten Bode-Preisträgern, Richard Hamilton („Vier Räume, 16. 12.-4.3.) und Penny Yassour („echolalia“, 16. 12. -25. 2.), arrangierten. Der Bode-Preis verdankt sein Entstehen der Tatsache, dass 100 documenta-Künstler Arnold Bode zu seinem 75. Geburtstag ein Werk verehrten. Diese Sammlung bildete nach Bodes Tod die Grundlage einer Stiftung, die heute im Schnitt alle zwei Jahre einen Preis vergibt. Obwohl der Bode-Preis keine Auszeichnung der documenta ist, hat er indirekt diese Qualität gewonnen, weil immer der jeweilige künstlerische Leiter der documenta Kuratoriums-Mitglied ist und weil in den letzten 15 Jahren der Preis meist zielstrebig im Blick auf einen documenta-Beitrag vergeben worden ist. Ursprünglich sollten zum Bode-Geburtstag die Werke aller 15 Preisträger seit 1980 im Fridericianum versammelt werden. Da der erhoffte Sponsor aber nicht mitspielte, muss sich die interessierte Öffentlichkeit jetzt mit einer reich illustrierten Publikation („Der Arnold-Bode-Preis“, Jonas Verlag, 49 Mark) begnügen.

Im Zentrum des Kasseler Gedenkens steht eine Ausstellung zum „Leben und Werk“ Arnold Bodes, die die Neue Galerie in der documenta-Halle (16. 12. bis 4. 2.) zeigt. Für die Ausstellung wirbt auf dem Plakat jenes Bode-Porträt von Gerhard Richter, das den Ausstellungsmacher in typischer Manier zeigt: Während er seinen Blick prüfend schweifen lässt, hat er seine Arme auf dem Rücken verschränkt. Rene´ Block hatte als 22jähriger Galerist dieses Bild in einer Richter-Ausstellung. Bode hörte davon, besuchte die Ausstellung und lernte so Block kennen. Jetzt, 36 Jahre später, ist dieses Porträt gleichsam das Logo der Bode-Feiern, an denen Block als Direktor der Kunsthalle Fridericianum teilhat.

Die Ausstellung und das sie begeleitende Katalogbuch (Edition Minerva, 45 Mark) würdigen vor allem den Macher und den Visionär Arnold Bode – den Mann, der bereits als junger Maler anfing, an Ausstellungen mitzuarbeiten und der die Nähe Weimars nutzte, um die Kunst des Bauhauses kennenzulernen. Dabei zeigt sich, dass die Frage, wieso es denn eigentlich im Jahre 1955 gelang, eine Ausstellung wie die documenta gerade in Kassel zu positionieren, viel einfacher zu beantworten ist, als meistens gedacht wird. Zwar schufen die Bundesgartenschau von 1955 und Kassels Randlage an der Zonengrenze die organisatorischen und materiellen Voraussetzungen für das Gelingen der ersten Ausstellung. Aber für Bode selbst war das gar kein Anfang, mit seiner Ausstellung setzte er im größeren Rahmen fort, was in den 20er-Jahren in Kassel stattgefunden hatte. Da waren nämlich 1922, 1925, 1927 und 1929 in der Kasseler Orangerie Ausstellungen organisiert worden, die versuchten, von der regionalen Kunst zur deutschen Avantgarde Brücken zu schlagen. Bode war als Künstler und Organisator an diesen Ausstellungen beteiligt. Merkwürdigerweise hat Bode in seinem Lebenslauf ausgerechnet die Ausstellung von 1929 nicht erwähnt, obwohl er gerade bei ihr zusammen mit seinem Malerkollegen Dersch für die Auswahl des wichtigsten Teils verantwortlich war – für die neue deutsche Kunst. Siebzehn der 57 in Deutschland tätigen Künstler, deren Werke 1955 zur documenta in Kassel gezeigt wurden, waren schon 1929 in der Orangerie vertreten: Albers, Baumeister, Feininger, Gilles, Heckel, Hofer, Kandinsky, Klee, Lehmann, Marcks, Matare´, Mueller, Nay, Pechstein, Purrmann, Rohlfs und Schlemmer. Berücksichtigt man, dass 1927 bereits Dix, de Fiori, Kokoschka und Schmidt-Rottluff dabei gewesen waren, dann ist schon ein Drittel der Künstler zusammen, die 1955 für das Kunstschaffen zwischen den Weltkriegen in Deutschland standen. Paul Westheim lobte die Kunstschau von 1929 im „Kunstblatt“: …“eine Phalanx der jungen frischen Kräfte, die einen neuen Auftakt ankündigen.

Aber nicht nur die Namen verweisen von der Ausstellung im Jahre 1929 auf die spätere documenta, auch die Strukturen: Die Orangerie-Ausstellungen waren in den Sommermonaten Juni bis September zu sehen und für deren Organisation wurden jeweils zahlreiche Ausschüsse gebildet, wobei immer der Ehrenausschuss die maßgeblichen Persönlichkeiten aus der Politik und Wirtschaft einbinden sollte. Die Ausstellung von 1927 barg zudem ein Element, das Bode im Zusammenhang mit der documenta mehrfach aufgreifen sollte: Der Katalog enthält eine Dokumentation vorbildlicher Architektur. Nimmt man das alles zusammen, dann liegt der Schluss nahe, dass es, nachdem durch die Nationalsozialisten diese Ausstellungsreihe beendet worden war, für Bode nur eine Frage der Zeit sein konnte, wann er in Kassel an diese Tradition wieder anknüpfen würde.

Die Kasseler Ausstellung würdigt Bode vor allem als Visionär: Seine bekannteste Vision entwickelte er, als er als documenta-Organisator schon ausgebootet war: Da entwarf er einen Plan, aktuelle Kunst im Oktogonschloss unter dem Herkules zu zeigen. Faszinierende Visionen enthielten auch seine Pläne zur Kasseler Innenstadtentwicklung. Seine wichtigste Vision im Blick auf die documenta hatte er, als noch gar nicht erkennbar war, ob aus der Idee auch ein Plan würde: In den ersten Konzeptpapieren wird nämlich vorgeschlagen, die Ausstellung mit einer Manifestation aller Künste (Film, Literatur, Theater, Musik, Architektur) zu verbinden; Catherine David sollte 42 Jahre später auf diesen Spuren wandeln. Außerdem schwebte ihm von Anfang an vor, also bevor über Erfolg oder Misserfolg entschieden war, die Ausstellung im Vier-Jahres-Rhythmus zu wiederholen.
Aus: Kunstforum

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