Müll der Geschichte?

„Aufstieg und Fall der Moderne“, Kunstsammlungen Weimar, Schloßmuseum 9. Mai bis 1. August, Mehrzweckhalle 9. Mai bis 8. November

Was ist eigentlich mit der DDR-Kunst? Gehört sie zum Müll der Geschichte, der in den Depots der Museen entsorgt ist und der wie die Nazi-Kunst höchstens nur noch als kulturpolitisches Dokument vorzeigbar ist? Oder muß man nicht zumindest die in den letzten 20 Jahren produzierte DDR-Kunst sorgfältig untersuchen und differenzieren? Mit unerwarteter Heftigkeit und Entschiedenheit sind anläßlich der Weimarer Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ diese Fragen vorwurfsvoll gestellt worden. Die erste Antwort, die geben werden konnte, erhärtete nur das Dilemma: In den zehn Jahren seit der Wende ist dieses Thema in der breiteren Kunstöffentlichkeit nie ernsthaft erörtert worden. Und trotz der mit Drohungen gewürzten heftigen Diskussionen über den dritten, von Achim Preiß verantworteten Teil der großen Weimarer Kulturstadtjahr-Schau kam auch jetzt spontan keine inhaltliche Debatte in Gang.

Die kontroversen Äußerungen drehten sich zumindest in der Anfangsphase nur um die Frage, ob Achim Preiß eine ordentliche Ausstellung abgeliefert habe oder ob diffamierend und denunziatorisch mit der gesamten in der DDR entstandenen Kunst umgegangen sei. Dabei greift diese Frage zu kurz. Preiß hat zwar mit großer Raffinesse die Werke der von der SED geduldeten Künstler gleichgeschaltet, indem er die Bilder zwei- und dreireihig, stilistisch unterschiedslos und bunt gemischt, dicht an dicht in einem Panoramarund gehängt (und damit Werner Tübke und seinem Bauernkriegspanorama noch einen Seitenhieb versetzt), doch mit dieser Entindividualisierung der Bilder knüpfte Preiß lediglich an eine Kunstpolitik an, die im Osten Deutschlands weitgehend üblich ist: Nach der Wende sind früher oder später die Werke nahezu aller offiziellen DDR-Künstler aus den Ausstellungsräumen verbannt worden. Und alle Differenzierungen, die in den 70er und 80er Jahren , die Kasseler documenta von 1977, Peter Ludwig und seine Helfer, einige Galeristen sowie der Kritiker Eduard Beaucamp vornahmen, galten nicht mehr. Die ostdeutsche Museumspraxis hat, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die DDR-Kunst geschlossen zum rein historischen Dokument werden lassen. Gegen diese alltägliche Praxis erhebt sich kein Proteststurm, wohl aber gegen eine Ausstellung, die diese Praxis manifestiert.

Insofern befindet sich der dritte Teil der Weimarer Ausstellung („Offiziell/inoffiziell – Die Kunst der DDR“), den Preiß zu verantworten in guter Gesellschaft. Daher ist auch das Protestgeschrei zu einem Teil unglaubwürdig, weil die langjährige Praxis, auf der Preiß seine Ausstellung aufgebaut hat, still geduldet hat. Völlig irrig ist auch der Vorwurf, die Bilder würden zusätzlich dadurch diffamiert, daß sie vor grauen Plastikplanen (in der Öffentlichkeit ist von Müllsäcken die Rede) gezeigt werden. Das Gegenteil ist richtig: Die Gesamtinszenierung in der an sich abstoßenden DDR-Mehrzweckhalle mitten im ehemaligen Weimarer Gauforum ist ästhetisch überzeugend. Die Planen werden zu einer neutralisierenden Folie und außerdem ist die räumliche Verzahnung der Ausstellungsteile mit Hilfe geometrischer Grundfiguren (Kurve, Kreis, Keil) ansprechend.

Trotzdem ist das von Preiß verfolgte Konzept falsch, gefährlich und fahrlässig, zumal ja mit „Aufstieg und Fall der Moderne“ der erste umfassende Versuch unternommen werden sollte, die aus Weimar dreifach vertriebene Moderne der Kunst der beiden totalitären Epochen in Deutschland, der Nazi-Zeit und der DDR, gegenüberzustellen. Was Rolf Bothe und Thomas Föhl an Werken der Moderne für den Teil 1 der Ausstellung im Schloßmuseum zusammentragen konnten ist beachtlich: Denn die Mehrzahl der Bilder und Skulpturen, die nicht immer ganz glücklich in den Schloßräumen präsentiert werden, waren zu Beginn dieses Jahrhunderts schon einmal in Weimar – entweder innerhalb von Ausstellungen oder als Dauerleihgaben – zu sehen. Es wird bewußt, wie pionierhaft insbesondere Harry Graf Kessler den französischen Impressionisten, Rodin und Munch kurz nach der Jahrhundertwende die Wege ebnete, bevor dann im Zeichen des Bauhauses Künstler wie Klee, Kandinsky und Feininger ihren Einzug hielten. Dieser Ausstellungsteil ist ein äußerst wichtiges kunsthistorisches Dokument, durch das der in Weimar und Deutschland insgesamt erlittene Verlust schmerzlich erfahrbar wird.

Daß der zweite und dritte Teil, die Nazi- und DDR-Kunst, nicht unter dem selben Dach und in einer vergleichbaren Weise wie diese klassisch-modernen Meisterwerke gezeigt werden können, ist verständlich. Und daß die Kunstsammlungen und die Kulturstadt-Organisatoren aus räumlicher Verlegenheit auf die Mehrzweckhalle am ehemaligen Gauforum als Ausweichort verfielen, ist gar nicht so übel, werden doch dort die beiden Systeme architektonisch repräsentiert. Dann werden aber innerhalb der beiden Ausstellungsteile Gegenüberstellungen und Vergleiche angeboten, obwohl Unvergleichbares zu sehen ist.

Die Nazi-Kunst, die in dieser Breite seit Kriegsende bei uns noch nie zu sehen war, wird hier folgerichtig als das Produkt einer ideologisch eindimensionalen Kunstpropaganda vorgestellt. Von nur ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen gibt es dort weder thematische noch stilistische Ausbrüche aus einer platten, klischeehaften und zum großen Teil auch unbeholfenen Kunst zu sehen, die den Akt und die bescheidene Familie, den germanisch zähen Bauern und die Kämpfernaturen verherrlicht. Bei Karl Storchs Porträt gibt es Anklänge an die Neue Sachlichkeit und von Waldemar Costes Maurer-Bild führt eine direkte Linie zum sozialistischen Realismus der frühen 50er Jahre. Die Auswahl der Nazi-Bilder ist deshalb so bruchlos, so ausschließlich von einem Menschenbild und einem Kunstverständnis geprägt, weil sie aus einer Sammlung stammen, die Adolf Hitler und sein Leibfotograf Heinrich Hoffmann durch Einkäufe in der Großen Deutschen Kunst zusammenstellten. Also sind Nebenlinien anderer Sammler und still geduldete oder sogar inoffizielle (aber nicht ins Exil gegangene oder vertriebene) Künstler nicht vertreten.

In der Etage darüber jedoch, die man über eine steile Rampe erreicht, werden offizielle, tolerierte und in den Untergrund abgetauchte Künstler gegenübergestellt. Außerdem stammen die Bilder aus mehreren unterschiedlich konzipierten Sammlungen. Schon von daher kann von einer Gleichsetzung von Nazi- und DDR-Kunst nicht gesprochen werden. Weder gibt es ein einheitliches Menschenbild noch den einen Stil.

Die Idee, elf monumentale Bilder aus dem Palast der Republik in einer Kurve als Repräsentanten eines in seiner Kunstpropaganda unsicher gewordenen Staates zu zeigen, ist nicht schlecht. Doch schon die Konfrontation dieser Gemälde mit (sehr guten) nüchtern-dokumentarischen Fotos aus dem DDR-Alltag ist fragwürdig; auf ähnliche Weise könnte man jede beliebige Kunst vorführen. Unverständlich (und unverzeihlich) ist, daß in dem großen Panorama der DDR-Kunst die Chronologie außer acht gelassen wurde und so die allmähliche Brechung des Menschenbildes und die Öffnung der Stilbildung nicht ablesbar werden. Selbst wenn diese Bilder insgesamt lediglich ein historisches Interesse beanspruchen könnten, müßten man die Entwicklung dokumentieren. Außerdem werden die Bilder von Tübke, Mattheuer und Johannes Heisig durch die Einbettung in eine ansonsten gesichts- und namenlose Masse bewußt klein und schlecht gemacht. Andererseits lassen die vier karikaturhaften Porträts von Sowjetsoldaten , die Thomas Ziegler 1987 vor leuchtend rotem Hintergrund schuf, erkennen, daß in der Kunst frühzeitig die Auflösungserscheinungen der DDR sichtbar waren. Es ist kaum damit zu rechnen, daß einzelne Hängekorrekturen dieses Konzept retten.

In seinem Katalog-Beitrag hat Preiß die DDR-Kunst durchaus differenziert betrachtet. In der Ausstellung differenziert er nur aus, was vorher (1945-1950) und was im Untergrund oder Exil war. Die Bilder dieser Künstler, zu denen auch Heinz Trökes, Mac Zimmermann, A.R. Penck, Gerhard Altenbourg und Thomas Florschütz gehören, werden vorweg und hintenan in Kabinetten museal präsentiert. Das bedeutet andersherum: Die 40 Jahre Jahre DDR-Kunst verdienen nicht einmal andeutungsweise das Museale. Dadurch wird das Konzept zur Provokation. Der 512 Seiten starke Katalog stützt diese Haltung, indem er die DDR-Künstler nur summarisch abhandelt – wie auch die Nazi-Kunst. Also doch eine gewisse Gleichsetzung.
Aus: Kunstforum
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