Heute vor 25 Jahren starb 91jährig Pablo Picasso. Sein Name ist zum Inbegriff der modernen Malerei geworden. Die Dimensionen seines Werkes sind nur wenigen bewußt.
Für die Deutschen ist Pablo Picasso der bekannteste Künstler überhaupt. 93 Prozent der Befragten, so erbrachte im vorigen Jahr eine Umfrage, kennen den Maler, Bildhauer und Grafiker; und immerhin jeder zweite von ihnen schätzt auch sein Werk. Das ist beachtlich, wenn man bedenkt, daß bis in die 50er und 60er Jahre Picasso von vielen der Scharlatanerie verdächtigt wurde. Ein Traditionalist wie der Satiriker Ephraim Kishon bewegte sich noch in den 70er und 80er Jahren auf dieser Denkschiene.
Picasso selbst hat an dieser Mißdeutung mitgearbeitet, indem er zuweilen seinen Kritikern sagte, was sie hören wollen. Für die nachhaltigste Verunsicherung allerdings sorgte er mit seinem künstlerischen Werk, weil es allen Vorstellungen von einer geradlinigen Entwicklung widerspricht. Er hatte zwar um 1907 mit seiner analytischen Kompositionsweise der Malerei eine neue Ausdrucksebene erschlossen und zugleich die Zugänge zur Abstraktion und zum Kubismus geöffnet, rund zehn Jahre später aber setzte er einen Neuanfang und begann, die Stile zu mischen. In der Folgezeit pflegte Picasso die neoklassizistische Bildsprache ebenso wie die Stilisierung, die Abstraktion oder die Deformation. Die Unmöglichkeit, ihn auf eine Ausdrucksform festlegen zu können, machte ihn verdächtig.
Pablo Picasso war ein Ausnahmekünstler. Bereits als Kind war er so begabt, daß er seinen Vater, der Künstler sein wollte, ausstach. Das Talent war die eine Seite, die andere war sein Drang, alles das, was er erlebte, umzumünzen in Gemälde, Grafiken und Skulpturen. Pablo Picasso war auch dadurch einzigartig, daß er von einem unbändigem Schöpfergeist besessen war. Es gab kaum ein Tag, an dem er nicht eine Arbeit schuf. Von 15000 Werken ist die Rede und von noch einmal 30000 Grafiken.
Pablo Picasso war, wenn man so will, einer der ersten postmodernen Künstler. Er hatte 1907 mit seinem Gemälde „Die Demoiselles d’Avignon“ das erste Schlüsselwerk des Kubismus geschaffen; er hatte auch in den folgenden Jahren mit seiner Malerei und seinen Collagen geholfen, die Grundlagen für die Moderne zu legen. Doch im Gegensatz zu seinen Schülern und Nachfolgern sah er nicht das Heil der Kunst in der Stilisierung und Abstraktion. Indem er also ältere und klassische Gestaltungsformen immer wieder miteinbezog, führte er auch vor, wie die Kunst nach dem Durchgang durch die Moderne aussehen könne. Insofern war er denen, die unter seinem Einfluß standen, immer weit voraus.
Pablo Picassos Werk ist aber nicht nur ein Kunstprodukt, es ist auch das Ergebnis eines intensiven sinnlichen Lebens. Mit seinen Modellen wechselte er seine Lieben; er genoß das Leben mit vollen Zügen und berichtete noch im hohen Alter davon – in einer denkwürdigen Grafikserie, in der er antike Mythen mit seiner ganz persönlichen Erfahrung als Künstler verschmolz. Ebenso eindrücklich fanden politische Ereignisse ihren Niederschlag in seinem Werk. Sein Bild „Guernica“ von 1937 gilt als ein Aufschrei gegen Gewalt und Krieg, der sich nicht nur auf die Zerstörung der baskischen Stadt durch die Legion Condor bezieht.
Picassos Werk ist heute in den großen Museen der Welt und darüber hinaus in einigen Häusern zu finden, die nur ihm gewidmet sind. Die (geographisch) nächst große Sammlung ist im Sprengel Museum in Hannover zu sehen. Der Maler Picasso war frühzeitig erkannt, der Grafiker war auch schnell gewürdigt, doch der Bildhauer und Plastiker wurde erst spät entdeckt. Picassos Skulpturen jedoch nehmen in der Kunst des 20. Jahrhunderts eine Sonderstellung ein. Sie bewegen sich zwischen allen vertrauten Stilen, weil sie im Sinne der Collage ganz handgreiflich aus Alltagsformen entwickelt wurden.
HNA 8. 4. 1998