Der in Köln lebende Maler Gerhard Richter wird heute 70 Jahre alt. Er ist Träger des Kasseler Bode-Preises sowie des Goslarer Kaiserrings und war sechs-mal an der documenta beteiligt.
Die Neue Galerie in Kassel besitzt zwei Gemälde von Gerhard Richter. Wer den Künstler und sein Werk nicht näher kennt, wird nicht unbedingt darauf kommen, dass beide Bilder von einem Maler stammen. Das eine hängt programmatisch im Treppenhaus und zeigt den Maler, Kunstprofessor und documenta-Begründer Arnold Bode in einer typischen Pose: Er hat die Hände in die Hüfte gestemmt und schaut sich um. Der nur knapp skizzierte Bilderrahmen, der hinter ihm an der Wand lehnt, deutet an, dass Bode beim Aufbau einer Ausstellung zu sehen ist. Arnold Bode ist wirklichkeitstreu abgebildet. Allerdings hat Richter die fotografische Wirkung leicht aufgehoben, indem er die Darstellung leicht verwischte. Chaos und Balance Das andere Gemälde ist das Abstrakte Bild von 1982, in dem rote, blaue und gelbe Flächen unvermittelt nebeneinander gesetzt sind und darüber noch andere Farbschlieren gezogen sind. Die Komposition wirkt chaotisch, findet aber trotzdem auf eigentümliche Weise ins Gleichgewicht. Während man bei anderen Künstlern angesichts solcher Gegensätze Rat- und Stillosigkeit unterstellen würde, muss man bei Richter von einer Programmatik sprechen. Das forschende Malen über Malerei hatte 1982 die Urkunde des Bode-Preises an Richters Werk gewürdigt. In der Tat hat er nahezu alle Möglichkeiten der Malerei ausprobiert. Hoher Marktwert Heute wird Gerhard Richter 70 Jahre alt. Aus diesem Anlass zeigt vom 14. Februar bis 21. Mai das Museum of Modern Art in New York 180 Bilder Richters aus allen Schaffensperioden. Wie hoch er international geschätzt wird, belegt die Tatsache, dass am Donnerstag sein Fotogemälde Mailänder Dom für 2,8 Millionen Euro bei Sothebys versteigert wurde. Als einziger Künstler war Gerhard Richter von 1972 bis 1997 an allen documenten beteiligt. Auf welch ungeheuren Bilderfundus der Künstler zurückgreifen kann, offenbarte sein aus 600 Tafeln bestehendes Werk Atlas, das zur documentaX zu sehen war. Wechselnde Stile Richter lässt sich auf keine großen Theorie-Diskussionen ein. Gerne sagt er, er wechsle Stil und Ausdruck, wenn sich für ihn eine Malweise erst einmal erschöpft habe. Vielleicht kommt man einer Erklärung näher, wenn man auf seine Anfänge blickt: Der aus der DDR (Dresden) nach Westdeutschland gekommene Maler fand sich in einer Situation wieder, in der malerisch alles gesagt und alle Formen verbraucht waren. So wählte er den ironischen Weg und entwickelte mit einigen anderen Künstlerfreunden in den 60er-Jahren den Kapitalistischen Realismus. Diese Art des gegenständlichen Malens war eine Antwort auf die Pop-Art, sie war aber auch als Versuch zu verstehen, nach dem Ende der Malerei einen Neuanfang zu unternehmen. Der Realismus ist das zentrale Thema Richters geblieben. Nicht nur, weil er immer wieder Porträts und Landschaften schuf oder die Fahndungsfotos der Roten Armee Fraktion (RAF) verarbeitete, sondern auch deshalb, weil die abstrakten Bilder als Teile der Wirklichkeit zu verstehen sind.
HNA 9. 2. 2002