Die Auflösung des Körpers im Bild

Documenta-Künstlerin Joan Jonas erweitert ihre Video-Installation zur Performance

KASSEL. Ein Höhepunkt im Programm der Documenta11: Die New Yorker Künstlerin Joan Jonas (Jahrgang 1936) präsentiert im Studio-Theater im Fridericianum (Frizz) eine Performance, die in atemberaubender Weise ihre in der Binding-Brauerei Video-Installation erweitert. Mit dieser Arbeit beweist die Künstlerin, dass sie im Bereich der Video-Performance immer noch eine Pionerin ist. Joan Jonas war zuvor seit 1972 vier Mal an der documenta beteiligt. Inspiriert zu ihrer Arbeit wurde Joan Jonas durch das Gedicht Helen in Egypt von Hilda Doolittle, das die griechische Sagenheldin Helena zu einer Ägypterin macht. Auf dieser Basis gewinnt der Trojanische Krieg, der durch den Raub der schönen Helena entfacht wurde, eine andere Dimension und wird zum Kampf um die Vorherrschaft über die Handelswege. Joan Jonas macht diese Umdeutung aber nicht zum Gegenstand einer geradlinigen Erzählung, sondern umkreist die Fabel mit Visionen und Träumen auf vielerlei Erzählebenen. Dabei wird der erzählerische Strang wiederholt gebrochen, gespiegelt und reflektiert. Das fängt damit an, dass (wie in der Video-Installation bei Binding) immer wieder die Gestalt der ägyptischen Pyramiden beschworen wird. Alte Fotos von Pyramiden werden auf eine Mauer projiziert, eine Pyramide wird aus Kiessand geformt. Doch in dem Video, das auf einer Großleinwand zu sehen ist, verwandeln sich die antiken Wunderwerke in Disney-Land-Kulissen der modernen Welt. Der Mythos wird somit zum billigen Klischee. Bei ihrer Performance wird Joan Jonas von Ragani Haas, Astrid Klein, Henk Visch, Sung und Paul Miller (Musik) unterstützt. Die oft sphärisch klingende Musik Millers entrückt das Geschehen in die Zeitlosigkeit. Die Video-Installation wird dadurch zur Attraktion, dass sie die verschiedensten Bild- und Video-Ebenen miteinander verknüpft. In der Performance gelingt Joan Jonas eine Steigerung dieser Technik. Die Video-Kamera wird ebenso wie die an einen Stock gebundene Kreide zum Zeichenstift. Das Publikum erlebt die körperliche Aktion auf der Bühne und sieht zugleich, wie die Bilder davon in einem größeren Zusammenhang aufgehen. Und wenn Joan Jonas vor der großen Videowand tanzt, dann wird sie Teil der Projektion und des gezeigten Films. Ihr Körper löst sich scheinbar auf und ist kaum noch vom Videobild zu trennen. Diese geradezu perfekte Mischung von wirklicher Handlung und gefilmter Darstellung ist sinnbildhaft für die gegenseitige Durchdringung der Erzählebenen. Video und Performance werden somit eins. Die Performance Lines in the Sand von Joan Jonas ist heute um 21.30 Uhr ein letztes Mal im Frizz (Fridericianum) zu sehen.
HNA 16. 8. 2002

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