Die Fotografin Hilla Becher im Werkstattgespräch der Sparkassen-Finanzgruppe
Innerhalb der Ausstellung documenta Erwerbungen in der Neuen Galerie in Kassel sind Fotografien von Hochöfen zu sehen, die Hilla und Bernd Becher 1981/82 gemacht hatten. Die Bildserie, die zu einer Typologie der unförmigen technischen Bauten wird, wurde 1982 aus der documenta7 angekauft. In der aktuellen Documenta11 sind die Bechers mit einer sehr viel älteren Arbeit vertreten. Ihre Fotografien von Fachwerkhäusern aus dem Siegerland waren ihr erstes Großprojekt, das sie Ende der 50er-Jahre begannen und über 20 Jahre verfolgten. Warum wurde diese frühe Arbeit ausgewählt? Weil in ihr das Konzept, das das Düsseldorfer Fotografen-Paar über 40 Jahre verfolgt, darin schon klar und überzeugend angewandt worden ist: Die Bechers haben die Häuser stets frontal ohne belebende Elemente aufgenommen und dabei immer jenes diffuse Licht gesucht, das den Himmel gestaltlos erscheinen lässt und das keine merklichen Schatten hervorruft. Die Häuser wie auch alle anderen technischen Bauwerke, die sie fotografierten kommen auf diese Weise idealtypisch ins Bild, das heißt, dass sie so zu sehen sind, wie sich ihre Erbauer sie gedacht haben. In dem dritten Werkstattgespräch der Sparkassen-Finanzgruppe zur Fotografie in der Documenta11 schilderte Hilla Becher, die leider ohne ihren erkrankten Mann kommen musste, ihre fotografische Vorgehensweise als so nahe liegend und zwangsläufig, dass man sich wundert, dass nicht mehr Fotografen nach diesem Prinzip arbeiten. Hilla Becher machte aber auch deutlich, dass sie und ihr Mann die Bauten nicht nur als ästhetische Phänomene wahrnehmen. Ebenso sind sie am Wesen und an der Geschichte der Bauwerke interessiert. So stellte sie die Siegerländer Fachwerkhäuser als Zeugen einer selbstbewussten und genossenschaftlich organisierten Bergarbeiterregion vor: Die Häuser gehörten den Bergarbeitern, die auch am Bergbau und Waldbesitz beteiligt waren. Auf Grund der Tatsache, dass die Fotos der Bechers alle Stimmungselemente vermeiden, kommen für den Moderator des Gesprächs, Heinz Liesbrock, die Bilder ohne eine subjektive Handschrift aus. Doch das ist falsch. Das Konzept, immer wieder nahezu objektive Bedingungen für die Aufnahmen zu finden, führte zur Ausbildung einer äußerst eigenwilligen Handschrift. Auch ein anderes Vorurteil räumte Hilla Becher beiseite: Obwohl sich die Fotos ganz in den Dienst der Technikbauten stellen, handelt es sich nicht um dokumentarische Aufnahmen. Nicht nur das Konzept, das die Bechers verfolgen, steht dem dokumentarischen Prinzip entgegen, sondern auch die optische Herauslösung der Bauwerke aus ihrer Umgebung. Es war vor allem Okwui Enwezor, der künstlerische Leiter der Documenta 11, der darauf aufmerksam machte, dass in der Ausstellung eine große Zahl von Arbeiten dokumentarisch wirkt, mit diesem Begriff aber nicht zu fassen ist. Er würdigte an den Fotosequenzen der Bechers die analytische und aufklärerische Haltung. Und Ute Meta Bauer aus dem Kuratorenteam erinnerte daran, wie umfassend und langfristig das Konzept angelegt sei. Erneut war das Publikumsinteresse an dem Gespräch gewaltig. Der Saal im Hotel Reiss konnte die Zuhörer kaum fassen. Umso enttäuschender war, dass der Diskussion mit dem Publikum kaum Raum gegeben wurde. Das letzte Werkstattgespräch wird am Samstag, 7. September, 20 Uhr, im Hotel Reiss mit Fiona Tan geführt. Gesprächspartner sind Catherine David und Okwui Enwezor.
HNA 20. 8. 2002