Die Arbeiten des Dänen Per Kirkeby bewegen sich auf verschiedenen Ebenen Zwei davon spiegelt die Neue Galerie
Malerei ist kein großes Thema der Documenta 11. Man kann schnell an zwei Händen abzählen, welche Werke direkt oder indirekt in der Ausstellung die Malerei repräsentieren. Diese Tatsache wird spätestens dann zum Problem, wenn es darum geht, Werke aus der Documenta 11 verabredungsgemäß für die Neue Galerie anzukaufen. Denn dieses Museum hat seine Sammlung zeitgenössischer Kunst schwerpunktmäßig auf die (vorwiegend gegenstandslose) Malerei ausgerichtet. Also stellt sich wie schon vor fünf Jahren die Frage, ob die documenta-Sammlung der Neuen Galerie im Sinne der aktuellen Ausstellung ergänzt werden soll. Das hieße, dass auch andere Medien bedacht werden müssten. Oder ob die Ankäufe auf die Museumsbestände hin ausgerichtet werden sollen. Wie dominierend (neben den zeichnerischen Studien) die Malerei unter den Ankäufen seit 1982 ist, dokumentiert die parallel zur Documenta 11 eingerichtete Ausstellung documenta Erwerbungen. Einer der größten Gemäldekomplexe wurde aus der documenta7 (1982) angekauft, als die Ausstellung ganz im Zeichen der Neuen Malerei stand. Zehn Jahre später bildete nochmals die Malerei in der documenta IX einen Schwerpunkt. Aus beiden Ausstellungen wurde jeweils ein Gemälde von dem Dänen Per Kirkeby (Jahrgang 1938) für die Neue Galerie angekauft. Bei dem 1982 erworbenen Gemälde handelt es sich um eine freie Komposition, die jede Verdichtung zu einer Form verweigert. Da geht es lediglich um das freie Spiel der Farben. Die Farbfelder gewinnen ihre Struktur durch die Pinselführung, die deutlich hervortritt und Dynamik in die Komposition bringt. Während 1982 das Gemälde direkt aus der documenta in die Neue Galerie übernommen wurde, war ein ähnliches Vorgehen zehn Jahre später nicht möglich. Das großformatige Bild, das Kirkeby in Kassel zeigte, war bereits dem Louisiana Museum in Dänemark zugesagt. Es gab aber eine kleinere Fassung , die wie ein Ausschnitt wirkt; die war verfügbar und wurde angekauft. Dieses Gemälde ist keineswegs nur frei angelegt. Es birgt starke landschaftliche Anklänge und könnte in der Tradition der Seerosenbilder von Claude Monet gesehen werden. Per Kirkeby hat ein umfangreiches malerisches Werk geschaffen. Aber er ist nicht nur Maler. Der Ausbildung nach ist er Naturwissenschaftler. Doch früh schon wandte er sich künstlerischen Tätigkeiten zu er begann zu schreiben, er malte und gestaltete Skulpturen, die sich zwischen freier Form und Architektur bewegen. Dabei ist bemerkenswert, dass die formstrengen Skulpturen von einem völlig anderen Geist geprägt zu sein scheinen als die Malerei. Sowohl 1982 als auch 1992 war Kirkeby auf beiden Ebenen in der documenta vertreten: Er zeigte Gemälde und entwarf jeweils für Kassel eine Gebäude-Skulptur. Die für die Stadt unwürdige Geschichte über das traurige Ende der ersten Backstein-Skulptur ist hier schon mehrfach beschrieben worden: Obwohl der Künstler die Arbeit der Stadt Kassel als Geschenk überlassen wollte, wurde sie in einer Nacht- und Nebel-Aktion abgerissen. Trotz dieser Vorgeschichte war Kirkeby 1992 erneut bereit, für Kassel eine Backstein-Skulptur zu entwerfen, die unterhalb der documenta-Halle ihren dauerhaften Standort finden sollte. Wiederum handelt es sich um eine Gebäude-Skulptur, die als offener Durchgang angelegt wurde. Auf diese Weise blieben für die documenta-Stadt die beiden gegensätzlichen Pole aus Kirkebys Schaffen erhalten. Zwischen Malerei und Backstein-Skulptur gibt es in Kirkebys Werk noch eine dritte Werkgruppe. Das sind die kleinen Bronzen, die als Studienmodelle für seine Skulpturen anzusehen sind. Während die Backsteinbauten aus dem Geist nordischer und klarer Strenge entstanden sind, wirken die Bronzen lehmig und schlammig so, als würden sie zerlaufen. Dank einer Spende Kasseler Bürger besitzt die Neue Galerie eine solche Bronze. Sie ist das Modell für die Backstein-Skulptur, die 1982 unweit der Orangerie gestanden hatte. Diese Bronzeplastik hält also mahnend die Erinnerung an die verschwundene Backstein-Skulptur wach.
HNA 28. 7. 2002