Bis zur völligen Auflösung der Form

Das Museum Wiesbaden präsentiert das Werk der früh verstorbenen Eva Hesse In zehn Jahren vom Bild zum Raumwerk

WIESBADEN. Die aus Hamburg stammende amerikanische Künstlerin Eva Hesse wäre heute 66 Jahre alt. Doch bereits vor 32 Jahren ist sie an Gehirntumor gestorben. Nur ganze zehn Jahre blieben ihr zur Entwicklung ihres Werkes, das der Kunst neue Wege eröffnete und auch heute noch als aufregend empfunden wird. Daher ist es verdienstvoll, dass das Museum Wiesbaden parallel zur Documenta 11 mit einer breit angelegten Werkschau an die Künstlerin erinnert. Dank der Zusammenarbeit mit dem San Francisco Museum of Modern Art sind aus aller Welt Leihgaben zusammengetragen worden, so dass beim Gang durch die Ausstellung die explosive Formenentwicklung in Eva Hesses Schaffen erlebbar wird. Innerhalb von nur fünf Jahren (1965 1970) revolutionierte sie für sich und andere den Kunstbegriff. Ihr Frühwerk, Selbstporträts, Gouachen und Collagen, wirkt vergleichsweise konservativ. Aber bereits in diesen Bildern macht sich eine begabte Künstlerin bemerkbar, die auch ohne ihr späteres Werk ihren Platz in der Szene gefunden hätte. Es ist zu spüren, dass sie bereits in jener Zeit einen ausgeprägten Sinn für das Surreale, das Erzählerische und das Körperliche hatte. Ihr Formbewusstsein war unvergleichlich stark. Wie viele andere Künstler ihrer Zeit versuchte Eva Hesse, das in den Rahmen gezwängte Bild und die auf den Sockel gestellte Skulptur zu überwinden. So wie Henry Moore seine Plastiken zum Raum hin öffnete, wollte Eva Hesse von ihren Wand- und Bodenobjekten Verbindungslinien in den Raum führen lassen. Sie stellte schließlich das fest umrissene Werk in Frage. Das einprägsamste Beispiel dafür, ist eine Arbeit, die kurz vor dem Tod der Künstlerin entstand: Mit Latex umwickelte Seile und Drähte hängen, wirr miteinander verknüpft, als unförmige Struktur im Raum. Man kann die Arbeit als plastische Zeichnung ansehen, aber auch als die völlige Auflösung der Form. Vieles in dem reifen Werk von Eva Hesse weist in diese Richtung. Immer wieder verwandte sie in ihren Arbeiten Schnüre, die Flächen verbinden, Seile, die sich spiralförmig aufrollen oder die vom Wandobjekt zum Boden herunterhängen. So verliert sich die Form im Raum, gewinnt neue Gestalt und stellt Verbindung zur Außenwelt her. In gewisser Weise wirken diese Arbeiten wie Kommunikationsmodelle. Manches von dem, was Eva Hesse zwischen 1965 und 1970 gestaltete, erinnert an das, was zeitgleich Joseph Beuys in Deutschland schuf. Ihre Arbeiten hatten einen starken Bezug zum Körperlichen. Das Material, mit dem Eva Hesse arbeitete, war für sie kein bloßer Rohstoff, sondern war selbst schon aussagekräftige Form und Botschaft. Wo auf die Sprachfähigkeit des Materials gesetzt wird, muss die Künstlerin gar nicht mehr als die große Erfinderin auftreten. Erst einmal genügt es, das Material in einer schlichten Form einfach nur vorzuweisen. Vor diesem Hintergrund sind Eva Hesses späte Arbeiten aus Fiberglas und Polyesterharz zu sehen. In einem Fall beschränkte sie sich darauf, gleich lange Rohre aus dem honiggelben Polyesterharz nebeneinander an die Wand zu lehnen. Die großzügig gehängte und gestellte Ausstellung im Museum Wiesbaden ist zeitlich geordnet. Da Eva Hesse bis zu ihrem frühen Tod von der Experimentierlust gepackt war und sich in ihren Arbeiten steigerte, verfügt die Ausstellung über eine ihr innewohnende Dramaturgie. Der Versuch, die Kunst zu überwinden, führte Eva Hesse zum Einfachen, das sich aber als das Schwierige erweist.
HNA 2. 8. 2002

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