Einer der wichtigsten und dabei schwierigsten deutschen Künstler ist der in Paris lebende Jochen Gerz (Jahrgang 1940). Das Museum Wiesbaden zeigt 18 seiner Installationen.
WIESBADEN „Bilder einer Ausstellung“ heißt eine Arbeit. Zu sehen sind Glasscheiben, die rahmenlos an der Wand lehnen. Auf den Scheiben stehen kurze Zeilen: „Sieh mich nicht an“, „Gib mir keinen Namen“ oder „Mach dir von mir kein Bild“. Indem man sich durch die Texte durchliest, gerät man ins Schmunzeln: Denn genau das, was einem die Texte untersagen, tut man. Oder umgekehrt: Jochen Gerz verweigert zwar herkömmliche Bilder, erreicht aber mit seinen Blick- und Bezeichnungsverboten das gleiche Ziel.
Jochen Gerz ist ein Meister der Beobachtung. Er hört und sieht genau hin und antwortet manchmal mit nur zarten Zeichen. Stets gelingt es ihm dabei, die Erfahrung und Erkenntnis in einem Raumbild zu konzentrieren, das die Wahrheit in poetischer und zuweilen heiterer Art aufdeckt. „Das Lächeln Mona L.’s bleibt unerwidert“ nennt sich eine Arbeit von 1978: Auf einer großen runden Holzplattform drehen sich eine Videokamera und ein Monitor im Kreis. Jeder im Raum wird von der Kamera eingefangen – doch genau dann, wenn er schräg hinter dem Monitor steht. Also sieht man das eigene Bild nicht.
Das Museum Wiesbaden präsentiert in einer beispielhaften Ausstellung 18 Installationen von Jochen Gerz aus den 70er Jahren. Der Künstler wechselt flink die Medien, kehrt aber immer wieder zu Fotografie und Film zurück. Nur ein „handschriftliches“ Element zieht sich durch alle Arbeiten: Da, wo er mit Holz arbeitet, nutzt er meist eine rotbraune Farbe, die den Objekten Schwere verleiht.
„Get out of my lies“ (verschwinde aus meinen Lügen) hat Gerz die Ausstellung betitelt. Wieder eine Umkehrung – holt er doch die Wahrheit ans Licht. Er entlarvt die falschen Bilder. So in „Exit – Materialien zum Dachau-Projekt“: Da stehen blanke Tische, über denen nackte Glühbirnen hängen. In dieser Büro-Atmosphäre für Verhöre entdeckt man auf den Tischen Alben, in denen das Konzentrationslager Dachau durchfotografiert ist. Aber nicht das Lagerelend sieht man, sondern die merkwürdigen Hinweisschilder, die Besucher leiten.
Rekonstruiert für Wiesbaden wurde das Transsibirien-Projekt, das Gerz zur documenta 6 (1977) realisierte. Der Raum wirkt in Wiesbaden aber zu hell und nicht eindringlich. Grandios – auch in ihrer Rätselhaftigkeit – ist die Arbeit „Die Schwierigkeit des Zentaurs beim vom Pferd steigen“, in deren Mittelpunkt ein durch die Wand hindurchragendes trojanisches Pferd steht, zu dem Tafeln mit in Spiegelschrift geschriebenen Texten gehören.
Jochen Gerz hat mit seinen Installationen einen eigenwilligen Weg eingeschlagen. Aber die zwei Jahrzehnte alten Arbeiten zeigen, daß er nach wie vor ein Avantgardist ist.
HNA 12. 9. 1997