Als vierte Künstlerin der Kasseler Ausstellung „Echolot“ stellen wir die Türkin Ayse Erkmen (Jahrgang 1949) vor, die oft mit provokativen Arbeiten überrascht.
KASSEL Ob Catherine David mit ihrer documenta X den Kunstbetrieb langfristig unterminiert hat oder ob sie nur kurzzeitig für Irritationen sorgte, ist noch nicht endgültig ausgemacht. Wenn man jetzt allerdings Ayse Erkmens Beitrag zur Ausstellung „Echolot“ im Kasseler Museum Fridericianum sieht, könnte man glauben, die türkische Künstlerin habe dem documenta-Konzept schon eine verborgene Sprengkraft unterstellt. Denn ganz gezielt suchte sie sich für ihre Arbeit jenen Raum im Zwehrenturm aus, in dem Catherine David ihr documenta-Projekt abwickelte und in dem noch alle Ordner und Arbeitsgeräte stehen, die sie dazu brauchte.
Ayse Erkmen hat für die im Raum stehenden Monitore der Personalcomputer Bildschirmschoner entwickelt. Diese ununterbrochen laufenden Programme wirken auf den ersten Blick unterhaltsam und harmlos: Man sieht, wie zu merkwürdig anrührenden Geräuschen grüne Objekte durch imaginäre Landschaften hüpfen. Sie verschwinden so unversehens, wie sie auftauchen. Doch die wie Gummifrösche hüpfenden Dinger sind Landminen, teuflisch im Untergrund lauernde Sprengsätze, die millionenfach Menschen in Krisenregionen bedrohen. Indem Erkmen die bittere Realität – nicht anklagend, sondern spielerisch und beiläufig – auf die Bildschirme holt, stellt sie auf jeden Fall einen inhaltlichen Bezug zu David Arbeit her: Denn die documenta X zeichnete sich dadurch aus, daß sie die politisch-kritische Kraft der Kunst wiederentdeckte.
Es ist der Schwebezustand zwischen fröhlich scheinender Unterhaltung, grotesker Umkehr des Schrecklichen und grausamer Wirklichkeit, der diese Arbeit so faszinierend macht. Die Besucher müssen selbst herausfinden, wo sie den Akzent setzen. Dieses Offenhalten ist typisch für Erkmens künstlerische Strategien.
So hatte sie zu der Ausstellung „Skulptur. Projekte in Münster“, die 1997 parallel zur documenta zu sehen war, einen Beitrag für die Westfront des Domes entwickeln wollen. Der Plan scheiterte am Widerspruch der Kirche. Dadurch ließ sich aber Ayse Erkmen nicht beirren: Sie ließ sich aus dem Depot des Landesmuseums Skulpturen des 15. und 16. Jahrhunderts übergeben, die dann mit Hilfe eines Hubschraubers erst über den Dom hinweg geflogen und dann auf dem Museumsdach mit Blick auf den Dom plaziert wurden. Sie hatte damit mehr erreicht, als sie ursprünglich gedacht hatte.
HNA 27. 4. 1998