Und wieder ein neuer Aufbruch

Zum zehnten Mal gibt es in Frankfurt eine Kunstmesse. Doch trotz ihrer Tradition hat die Art Frankfurt noch kein klares Profil entwickelt. Diesmal setzt sie verstärkt auf ganz junge Kunst.

FRANKFURT Ende der 60er Jahre wurde in Köln der Kunstmarkt erfunden, weil die Avantgarde-Galerien endlich auch für die zeitgenössische Kunst eine feste wirtschaftliche Basis finden wollten. Der Versuch war erfolgreich. Kunstmessen sind heute weltweit etabliert; allein in Deutschland kämpfen drei Kunstmessen (Köln, Berlin, Frankfurt) um die Gunst der Galeristen und Käufer. Gleichwohl ist die geschäftliche Basis sehr schmal. Vor allem für jüngere Galerien mit preisgünstigen Angeboten sind die in den teuren Messehallen veranstalteten Märkte nicht attraktiv. Weil aber die Messen – vor allem in Köln und Frankfurt – gerade mit der Avantgarde- und Nachwuchskunst locken wollen, lassen sich die Veranstalter immer neue Sonderangebote und Förderprojekte einfallen.
Nachdem die Art Frankfurt in der jüngsten Vergangenheit damit gescheitert ist, die Galerien nach Stilrichtungen einzuordnen und zu trennen, die Messe also zu musealisieren, wartet sie in diesem Jahr unter der Leitung von Marianne El Hariri mit einem neuen Konzept auf: Die obere Etage in der Messehalle 1 hat sie den Galerien mit etablierter Kunst geöffnet. Da fühlt man sich im musealen Oberlicht wie in einem Haus der Klassischen Moderne, wenngleich die Bilder und Objekte überwiegen, die seit den 60er Jahren entstanden sind. Die Galeristen zahlen da ihre normale Standmiete von 230 Mark pro Quadratmeter.
Die etwas gedrückt wirkende Etage darunter, die schon immer schwerer zu vermieten war, haben nun die jüngeren Galerien oder die Aussteller mit junger Kunst zu einem Rabattpreis von 100 Mark pro Quadratmeter erhalten. Kunst der 90er Jahre gibt es da unter dem Titel „New Attitudes“ (Neue Haltungen) zu sehen. Man mag das eine Förder- oder eine Dumping-Aktion nennen. Das Ergebnis immerhin deutet daraufhin, daß das Konzept aufging: So experimentell, so frisch und frech hat sich die Art Frankfurt lange nicht mehr präsentiert. In einigen Teilen der Halle fühlt man sich in ein Labor oder in einen Grundkurs einer Kunstakademie versetzt, in anderen Teilen wird man mit überraschend ausgereiften Arbeiten konfrontiert, die ganz neue Felder besetzen. Aus der Fotografie entwickelte Arbeiten dominieren, daneben sieht man vielerlei Mischformen zwischen Malerei, Zeichnung, Fotografie und Objektkunst.
Bliebe das Lockangebot der Frankfurter Messe eine einmalige Aktion, wäre dieser neue Aufbruch schnell wieder Geschichte und die Art Frankfurt wiederum in einer Identitätskrise. Sollte es aber gelingen, eine solche Förderung für einige Jahre zur festen Einrichtung zu machen, hätte die Mainmetropole die Chance, sich zwischen Köln, Berlin und Basel fest zu etablieren. Ob hingegen der Versuch Erfolg verspricht, auch der Auflagenkunst (Multiples) in Frankfurt einen festen Platz zu verschaffen und damit der Düsseldorfer „Art Multiple“ etwas Wasser abzugraben, ist zweifelhaft.
Gelegentlich lassen sich auch ältere Künstler vom Aufbruch der Jugend mitreißen. Das beste Beispiel dafür ist Walter Dahn. Er gehört zu den Künstlern, die Ende der 70er Jahre der Malerei eine neue freche Wendung gaben. Jetzt ist er Professor in Braunschweig. In Frankfurt aber kehrt er zu den Anfängen zurück und taucht in einer Studentengruppe unter, die mit ihrer Installation (mittendrin ein VW-Bus aÁ la Beuys) und ihren naiv-schmuddeligen Zeichnungen die überlieferte Kunst verabschiedet.
Gleich an mehreren Plätzen der Art Frankfurt ist der aus Kassel kommende Maler Bernhard Martin vertreten. Martin, der alle Stile und Tricks der Malerei bis zur Perfektion beherrscht, irritiert einerseits mit Kissenobjekten, die eine Videoinstallation vortäuschen, und kommt groß mit Bildern heraus, die im digitalisierten Stil gemalt sind.
Kasseler Absolventen
Überhaupt fällt auf, wie stark Absolventen der Kasseler Kunsthochschule in Frankfurt präsent sind. Zwei Beispiele: Reinhard Doubrawa stellt sich mit Unikat-Objekten vor und Ulrike Müller zeigt eine Serie von dokumentarischen Fotos, die bei der jüngsten documenta entstanden sind und in die sie eigene Motive (versteckt) hineinprojiziert hat.
Von einer Ermüdung der Kunst kann auf dieser Art Frankfurt keine Rede sein. Es ist, als hätten die jüngeren Künstler gleich mehrere Punkte gefunden, an denen sie neu ansetzen können.
HNA 19. 3. 1998

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