Die australische Künstlerin Tracey Moffat (Jahrgang 1960) beteiligt sich mit eindringlichen Fotoserien und Videos an der Kasseler Ausstellung „Echolot“.
KASSEL Der Glaube an den dokumentarischen Charakter und die Wahrhaftigkeit der Fotografie ist nachhaltig zerstört. Vor allem die Künstler, die mit fotografischen Mitteln arbeiten, haben zur Zerstörung dieses Echtheits-Mythos beigetragen: Durch die Verwendung angeblich dokumentarischer Techniken machten sie bewußt, daß die Ausschnitte subjektiv und die Motivanordnungen arrangiert und inszeniert sind.
Auch Tracey Moffat hat sich wiederholt des Reportage-Stils bedient. In ihrer Serie „Scarred for Life“ (1994) gestaltete sie Text-Bilder, wie sie in den 70er Jahren das Magazin „Life“ veröffentlicht hatte. Dieser etwas betuliche Stil verstärkte noch den Effekt, daß die Alltagsszenen die Spießigkeit entlarvten.
Tracey Moffat stammt aus einer Aborigines-Familie. Sie studierte am Queensland Collage und fand so Zugang zu der internationalen Kunstsprache. In ihrem künstlerischen Schaffen begibt sie sich auf die Suche nach der Identitätsbestimmung. Die äußeren Bilder bringt sie sie mit den inneren zusammen, die von Ängsten und Träumen erzählen. Zugleich setzt sie sich mit der Widersprüchlichkeit von städtisch-kleinbürgerlicher Zivilisation und Randexistenz auseinander. So gestaltet sie eindringliche Filme, in denen sich Vision und Wirklichkeit übergangslos mischen und surreale Kompositionen entstehen.
Ihre Fotoserien sind mit der Kamera erzählte Geschichten, die Bildern gleichen, die aus Filmen herausgelöst worden sind (Filmstills): Sie sind inszeniert und aufgeladen und machen neugierig auf das, was zuvor geschah, und auf das, was folgt. Im Mittelpunkt ihres Beitrages zur Ausstellung „Echolot“ im Kasseler Museum Fridericianum steht die 25teilige Fotoserie „Up in the Sky“, die von kindlicher Unschuld, von Gewalt und Ortlosigkeit erzählt. Der Betrachter fühlt sich hineingezogen, bleibt aber in gewissem Maße ratlos, weil sich die Geschichte nicht völlig erschließt. Wenn ein Vergleich zur vorigen documenta gestattet ist: Tracey Moffat bewegt sich auf der Ebene von Jeff Wall; die Intensität ihrer Foto-Erzählungen allerdings ist tiefgründiger und intensiver.
HNA 1. 4. 1998