Nach Stuttgart huldigt nun das Folkwang Museum Essen dem Maler Paul Gauguin (1848 – 1903). Er schuf Bilder, die von Weltflucht und Träumen erzählen.
ESSEN Im Museumsshop gibt es kiloweise Literatur zur Ausstellung: Hochglanzbildbände in jeder Größe, Poster, aber auch Teller und Tassen mit Gauguin-Motiven. Wozu den zum Mythos gewordenen Franzosen ausstellen und seine Bilder aus aller Welt zusammentragen, wenn die schon längst vertraut sind? Nimmt man den informativen und gut gestalteten Katalog (DuMont Verlag, Köln, 340 S., Paperback 48 Mark, Leinen 98 Mark) zur Hand und wandert, die Bilder und Abbildungen vergleichend, durch die Ausstellung, ergibt sich die Antwort von selbst: Obwohl sich die Herausgeber um die Wiedergabe der stumpfen, kreidig wirkenden Farben bemühten, ist etwa die Hälfte der Gemälde entschieden zu leuchtkräftig reproduziert. Das heißt, daß die Hochglanz-Abziehbilder noch mehr verfälschen.
Das Zusammentragen der Originale macht also schon viel Sinn. Daß sich Stuttgart und Essen im Jahre des 150. Geburtstages von Paul Gauguin Konkurrenz machen würden, war nicht beabsichtigt. Doch allen Kunstfreunden, die sich von Gauguin nach Stuttgart locken ließen, sei gesagt, daß nur sechs der Gemälde ins Essener Folkwang Museum übernommen wurden. Die anderen über 90 Werke waren nicht in Stuttgart. Erstens besitzt das Museum selbst vier Gauguins und zweitens wird dort schwerpunktartig ein Sammlungskomplex aus Rußland gezeigt. Seine Einbeziehung ist dem Hauptsponsor Ruhrgas zu danken, der – ähnlich wie Wintershall in Kassel – Gasgeschäfte mit Rußland macht und entsprechend seine Kulturförderung ausrichtet.
Ihre Bedeutung gewinnt die Essener Schau durch zwei Aspekte. Zum einen werden hier nahezu 30 Gemälde gezeigt, die noch nie zuvor oder nicht mehr seit den 30er Jahren in Deutschland zu sehen waren. Zum anderen wurde die Ausstellung „Paul Gauguin – Das verlorene Paradies“ durch ein „Vorwort“ und ein „Nachwort“ ergänzt. Im „Vorwort“ werden Paradies-Visionen anderer Künstler gezeigt – Brueghel, Cranach, Munch und Mare?es. Und im Nachwort begegnet man Bildern der Expressionisten Nolde, Heckel, Kirchner, Marc, Mueller und Schmidt-Rottluff, die sich mit ihren Farben und auch Figuren in der unmittelbaren Nachfolge Gauguins zu bewegen scheinen.
Das macht überhaupt das künstlerische Phänomen Gauguin aus – daß dieser Maler, der Autodidakt war, in seinen Bildern einen Kosmos schuf, in dem sich der Impressionismus ebenso wiederfindet wie der Symbolismus und der Jugendstil sowie die Spielarten des nachfolgenden Expressionismus. Paul Gauguin sah sich gern als ein Wilder. Soweit es das wirkliche Leben betraf, träumte er die Verwilderung nur. In künstlerischer Hinsicht aber war er es: Er führte die Malerei zur Ursprünglichkeit zurück, ließ die Leinwand Fläche bleiben, scheute die naive Komposition nicht und gab den Farben neue Klänge.
Die Ausstellung ermöglicht eine unverstellte Begegnung mit der Kunst Gauguins. Sie ist chronologisch geordnet und zwingt keine inhaltliche Betrachtung auf. Überläßt man sich als Besucher der Zwiesprache mit den Bildern, dann tritt das Motivische zurück, werden Tahiti und seine Menschen zweitrangig, dominiert die Auseinandersetzung mit den kraftvollen und aus Gegensätzen lebenden Kompositionen.
Der Katalog lädt aber zur inhaltlichen Auseinandersetzung ein: Gauguin war ein in seinem Heimatland Gescheiterter, der in die Südsee floh, um das vermeintliche Paradies zu finden. Aber er selbst merkte, daß es dieses Paradies nicht mehr gab (oder nie gegeben hatte). Trotzdem träumte er sich in der Wirklichkeit in die Rolle Adams hinein, der auf Tahiti seine jugendlich-unverbrauchte Eva suchte, und setzte seine Traumbilder in Gemälde um. Drum brauchte er vieles gar nicht vor der Natur zu malen, da dieses doch weitgehend seine inneren Bilder waren.
HNA 18. 6. 1998