Es ist eine heitere, immer neue Überraschungen präsentierende Schau, die Claus Böhmler in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum zeigt. Indem er mit der Kunst spielt, zapft er neue Quellen an.
KASSEL Ihm haftet das Etikett Beuys-Schüler an. So, als würde sich die Aura des großen Kunst-Erweiterers automatisch auf seine Schüler übertragen. Dabei hatte Beuys Hunderte von Studenten und sehr unterschiedliche. Weiter kommt man in der Beschäftigung mit Claus Böhmler eher, wenn man weiß, dass der heutige Professor an der Hamburger Hochschule für bildende Künste zu den frühesten Schüler-Jahrgängen von Joseph Beuys gehörte. Dann nämlich ahnt man, dass Böhmler an der Düsseldorfer Akademie war, als der Geist von Fluxus noch kräftig wehte. Mit Fluxus meint man jene Kunst, die vom Wechselspiel der Einfälle und der Formen lebt. Alles fließt vom Wort zum Bild, vom Bild zur Aktion und von der Aktion zur Musik. Fluxus ist eine prozesshafte Kunst, die sich jeder Einordnung verweigert, immer aufs provokative Spiel und die Heiterkeit aus ist und trotzdem sehr ernst sein kann. Böhmler erweist sich in der Kasseler Ausstellung als ein Künstler, der die Grundidee dieser in den 60er-Jahren entstandenen Kunstrichtung in unsere Tage rettet. Manchmal meint man, Böhmler habe eine geradezu panische Angst, festgelegt zu werden und in einer bestimmten Stilform zu erstarren. Daher liebt er das Hingeworfene Zeichnungen und Collagen, die wie Zufallsprodukte aussehen, Studien sozusagen. Umso überraschter ist man, wenn man dann plötzlich doch vor klassischen und fertigen Werken steht auch wenn es sich nur um eine Reihe von Sprühbildern handelt, die die Malerei parodieren, oder um die illusionistische Raumzeichnung (Haustraum). Die Ausstellung knüpft sehr schön an das an, was René Block früher im Fridericianum zeigte etwa bei Chronos und Kairos oder bei den Projekten mit Joe Jones, Robert Watts und Joan Brossa: Das Alltägliche wird geadelt und gleichzeitig durch eine kleine Zugabe in etwas völlig Anderes verwandelt. Ein paar Beispiele: Da sieht man auf einer Wand auf gelbem Grund Nistkästen. Böhmler hat sie durch Kopfhörer mit Antenne so ergänzt, dass man meint, musikalisch vernetzte Köpfe vor sich zu sehen. Dann wieder steht man vor einer Tischtennisplatte, von der die Geräusche eines Spiels kommen. Die auf der Platte liegenden Schläger entpuppen sich als Lautsprecher. Böhmler spielt mit den Medien und unseren Wahrnehmungen,und er hilft uns, genauer hin zu sehen und zu hören. Aber genauso liebt er die überwältigende Illusion. Die Raumzeichnung vom Traumhaus ist da ebenso zu nennen wie jenes kleine Kabinett, in dem man, vor einem Liliputaner-Fussballfeld stehend, die aufregende Reportage vom Elfmeterschießen Deutschland-Frankreich bei der Weltmeisterschaft 1982 zweisprachig hören kann. Doch Böhmlers Leistung besteht keineswegs nur darin, für Überraschungen und witzige Umkehrungen zu sorgen. In seinen zuweilen unscheinbaren Zeichnungen und Collagen stecken ungeheure Energien, da sind Kraftfelder für großartige Bilder und Installationen angelegt. Man spürt das auch in dem Raum, in dem seine Farbfotogramme zu sehen sind: Böhmler hat nicht einfach bloß schöne und effektvolle Fotogramme gestaltet, sondern er lässt in zwei Werkkomplexen durch das Hinzufügen einer Taschenlampe nachvollziehen, wie mit Hilfe des Lichtstrahls gezeichnet und gemalt werden kann.
HNA 10. 5. 2001