Der Künstler Joseph Beuys würde heute 80 Jahre alt. Sein Wirken hat auch 15 Jahre nach seinem Tod nichts von seiner Sprengkraft verloren.
Für Joseph Beuys wäre es die Erfüllung eines Traumes gewesen: In Wien in der Akademie der Bildenden Künste zu erleben, wie Kunststudenten, das Team der documenta-Leitung und Wirtschafts- und Politikwissenschaftler miteinander über die unentdeckten Möglichkeiten der Demokratie und die Gefahren des Kapitalismus diskutieren. Hatte er nicht immer so etwas gewollt? 1972, als er zur documenta 100 Tage in seinem Büro im Kasseler Fridericianum stand und mit den Besuchern über solche und andere gesellschaftliche Fragen redete, war er von vielen müde belächelt worden. Fünf Jahre später, als er unter der Honigpumpe sein Modell einer Freien Internationalen Universität im Rahmen der documenta ausprobierte, wurde er schon eher verstanden: Kunst funktioniert auf Dauer nicht, wenn die Kreativität auf das Ästhetische beschränkt bleibt. Sie muss in die Gesellschaft hineinwirken. Dementsprechend muss jeder Mensch ein Künstler werden, nicht um Bilder zu malen, sondern um an der Gestaltung des Lebens teilzuhaben. Die von Beuys entwickelte Idee einer sozialen Plastik wurde für viele allerdings erst richtig greifbar, als er zu Beginn der documenta 7 (1982) seine Aktion 7000 Eichen startete, deren Vollendung im Jahre 1987 er jedoch nicht mehr erlebte. Dieses in die Stadt eingreifende und sie verändernde Kunstwerk sollte zu der größten Herausforderung werden. Solange Beuys lebte, schienen er und sein Werk eine unauflösliche Einheit zu sein. Der Künstler war immer auch Lehrer, Missionar und Schamane. Aber nach seinem Tod zeigte sich, dass seine zurückgelassenen Arbeiten nach wie vor Batterien voller Energie sind. Von ihnen gehen große Veränderungskräfte aus. Das Stoffliche Wesentliche Impulse erhielt Beuys durch die Zusammenarbeit mit anderen Fluxus-Künstlern. Seine überragende Leistung bestand aber in der schier grenzenlosen Erweiterung der Kunst. Von seinem Hineinwirken in die Politik und Gesellschaft war schon die Rede. Noch revolutionärer war er im Umgang mit dem Stofflichen. Er machte bewusst, dass Fett und Filz, Honig und Wachs, Kupfer und Blei nicht nur formbare Materialien sind, sondern selbst schon Träger von Botschaften: Filz wärmt und schützt, Kupfer leitet, Honig nährt… So entwickelte er mit den Materialien eine neue Kunstsprache, die erst allmählich verstanden wurde. Beuys mit (schützendem) Filzhut ist oft als spektakulärer Aktionskünstler missverstanden worden. Er suchte durchaus die Aktion und die Öffentlichkeit. Seine Zeichnungen und Skulpturen sind aber auch stille Objekte, stark verschlüsselt und voller Kraft.
HNA 16. 5. 2001