Auslöschung als Aneignung

Der österreichische Maler Arnulf Rainer wird heute 75 Jahre alt

Es ist schon eine Untersuchung wert herauszufinden, wieso die radikalsten Künstler und Schriftsteller deutscher Zunge im letzten halben Jahrhundert oft Österreicher waren. Ist es vielleicht die Melange aus Wiener Walzer und Mozartkugeln, die die Künstler aufstehen und kompromisslos werden lässt?
Einer der Provokateure gilt jetzt als Altmeister und wird heute 75 Jahre alt: Arnulf Rainer. Zwei mal ist der in Baden bei Wien geborene Maler bei seiner Bewerbung von der Akademie abgewiesen worden. Knapp 40 Jahre später wurde er als Professor an die Akademie berufen.
In seinen Anfangsjahren gab es nicht wenige Menschen, die meinten, Rainer sei zu Recht von der Akademie zurückgewiesen worden, denn seine Malerei sei nicht viel anderes als Schmiererei. Mehr berüchtigt als berühmt war Rainer dadurch geworden, dass er Bilder von eigener und anderer Hand so stark übermalte, dass er sie nahezu auslöschte.
Wie kommt ein Künstler dazu, fertige Bilder (oder Reproduktionen von Bildern) zu übermalen? Es ist die spontane, expressive Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen. Rainer will nicht auslöschen, sondern sich das Bild, auf dem er mit Stift, Pinsel oder Fingern arbeitet, aneignen, es neu akzentuieren.
Am verständlichsten wird dieser Drang im Umgang mit seinen Körperfotos: Durch die heftigen und dynamischen Striche werden die Gestik und die angedeutete Bewegung verstärkt.
Die Ummalungen von Totenbildern und Kruzifix-Darstellungen verleihen seinem Werk eine religiöse Tiefe. Zeichnung und Malerei werden zu existenziellen Prozessen. Arnulf Rainer stand in seinen Anfangsjahren den fantastischen Realisten und den Surrealisten nahe. Er löste sich aus dieser Beziehung und wurde als der Meister der Übermalungen zu einer Leitfigur der zeitgenössischen Kunst. Auch dann, wenn er die Fläche eines Gemäldes zumalte, ließ er immer eine Ecke stehen, die auf die Bildebenen darunter verwies und damit die Malerei selbst thematisierte.
Malen und Zeichnen als Prozess. Vieles ist aus der direkten Aktion hervorgegangen. Mittlerweile ist Arnulf Rainers Provokation akzeptiert. Seine Übermalungen rufen keine Proteststürme mehr hervor. Eher sieht man, wie stark er auf andere gewirkt hat.
HNA 8. 12. 2004

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