Erinnerung an documenta-Protest

Heute Eröffnung der Ausstellung „behind the facts. interfunktionen“ im Fridericianum

KASSEL. Die Ausstellung, die heute in der Kunsthalle Fridericianum eröffnet wird, ist nicht für Kassel gemacht. Gloria Moure hat sie für Barcelona und Porto gestaltet, um den Aufbruch der internationalen Kunst in den Jahren 1968 bis 1975 zu dokumentieren.
Aber Bezugspunkte der Ausstellung sind die Zeitschrift „interfunktionen“, die von 1968 bis 1970 erschien, und die Kasseler documenta von 1968, gegen die sich die erste Ausgabe der Zeitschrift wandte. Insofern hat die Ausstellung ihren für Deutschland idealen Ort gefunden. Sie entpuppt sich als ein unerwartetes Geschenk zum 50. Geburtstag der documenta.
1968 war das Jahr des Aufruhrs. Weltweit demonstrierten die Studenten. In Deutschland bekamen die Unruhen zusätzliche Nahrung durch Bildungsnotstand und Notstandsgesetze. Künstler verließen ihre Ateliers, um Manifeste zu verbreiten und Aktionen zu planen.
Es war auch für die documenta eine schwierige Zeit. Arnold Bode musste sich der Kritik erwehren, die documenta 4 gebe zu sehr dem Zeitgeist nach. Nun kam neue, viel heftigere Kritik von links. Das Konzept sei „unsachlich und autoritär“, hieß es. Eine Gegendocumenta in der Stadthalle wurde angekündigt, und die Eröffnungspressekonferenz wurde durch ein Happening gesprengt. Die documenta sei zum Aufschlecken, wurde gesagt, nachdem die Akteure Honig über Mikrofone und den Rathaustisch gegossen hatten.
Arnold Bode war vorgewarnt. Sein kurz vor der Eröffnung geschriebener Katalogtext wurde zu einer einzigen Rechtfertigung, ohne dass Bode seine Kritiker nannte: „Zum Establishment gehört auch diese documenta nicht – wie wir meinen… Natürlich machen wir Fehler, natürlich sind wir ungerecht… Aber diese Fehler, Ungerechtigkeiten und verpassten Gelegenheiten … können doch – unserer Meinung nach – auch die Idee der 4. documenta nicht verfälschen oder gar undeutlich machen.“
In diesem Unruhejahr gab in Köln der Student Friedrich Wolfram Heubach in Zusammenarbeit mit dem Künstler Wolf Vostell, der an den documenta-Protesten entscheidend beteiligt war, die erste Ausgabe der Zeitschrift „interfunktionen“ heraus. Auf dem Titel war Bode zu sehen, wie er Bundespräsident Heinrich Lübke durch die documenta führte.
„interfunktionen“ wurde zu einem Medium der neuen Avantgarde, der Kunst, die alle vertrauten Formen hinter sich ließ, die die neuen Medien nutzte und die Tabus brach. Gloria Moure hat mit Bezug auf diese Zeitschrift Kunstwerke ausgesucht, die in jenen Jahren entstanden sind. Somit vermittelt die Ausstellung einen lebendigen Einblick in den umwälzenden Aufbruch der Kunst.
HNA 29. 1. 2005

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