Der Theoretiker der documenta

Im Alter von 87 Jahren ist der Kunsthistoriker Prof. Werner Haftmann gestorben, der an der Seite Arnold Bodes der theoretische Kopf der documenta bis 1964 war.

Der Maler und Ausstellungsmacher Arnold Bode war der Anreger, der Organisator und Inszenator. Ohne seine Phantasie und vorwärtstreibende Energie wäre die Kasseler documenta sicher ein Traum geblieben und nicht zur Institution geworden. Die documenta hätte jedoch kaum diese internationale Beachtung gefunden, hätte nicht an der Seite Bodes der Kunsthistoriker Werner Haftmann als theoretischer Kopf fungiert. Mit seinen Katalogaufsätzen und Reden schuf er die Basis, auf der die Kasseler Ausstellung Gestalt gewann.
Der aus dem westpreußischen Glowno stammende Haftmann hatte unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges begonnen, Aufsätze und Bücher über Künstler wie Emil Nolde oder Paul Klee zu schreiben, die von den Nazis als „entartet“ geächtet worden waren. Just im Jahr der ersten documenta erschien von ihm die zweibändige Ausgabe „Malerei im 20. Jahrhundert“, die lange Zeit als Standardwerk galt.
Haftmann war aber nicht nur der klare Analytiker der modernen Malerei, sondern auch ein Propagandist der abstrakten Kunst. Aus seiner Sicht mündete die Moderne zwangsläufig in der Abstraktion (womit jeder Art von gegenständlicher Kunst die Existenzberechtigung abgesprochen wurde).
Die documenta II (1959) nutzte Haftmann, um diese seine Thesen zu untermauern. Die einseitige Ausrichtung der documenta entfachte heftige Kontroversen, zumal sich die Ausstellung auf die Kunst nach 1945 konzentrierte und nur wenige „Lehrmeister“ der älteren Generation zuließ.
Bei der dritten documenta (1964) überraschte Haftmann mit der Begriffserklärung, daß Kunst das sei, „was bedeutende Künstler machen“. Damit sagte er sich von allen Schul- und Stilbegriffen los, um die Freiheit zu haben, mit Bode zusammen Meisterkabinette (von Lovis Corinth bis Francis Bacon) einzurichten. Vielleicht wäre diese documenta, die neuere Strömungen vernachlässigt, untergegangen, hätte Haftmann nicht die Skulpturen- und Bilderschau durch die Abteilung Handzeichnungen ergänzt. die bis heute als der beste Überblick über die Entwicklung dieses Mediums seit 1880 gilt.
Als sich dann abzeichnete, daß die documenta 4 sich der aktuellen, nicht-abstrakten Kunst (Pop-art) öffnen würde, verließ Haftmann mit anderen das documenta-Team. 1967 wurde er dann in Anerkennung seiner Fähigkeiten zum ersten Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin berufen, der er in seiner Amtszeit bis 1974 ein klares Profil geben konnte. 62jährig gab er aus Gesundheitsgründen das Amt auf, um sich im oberbayerischen Waakirchen wieder dem kunstwissenschaftlichen Schreiben zuzuwenden.
HNA 30. 7. 1999

Schreibe einen Kommentar