Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren präsentiert die Neue Galerie in Kassel eine Ausstellung mit Bildern von Jerry Zeniuk, der hier zuerst auf der documenta 6 (1977) vertreten war.
KASSEL Unter der Leitung von Marianne Heinz ist in der Neuen Galerie in Kassel die Abteilung wesentlich gestärkt worden, die die ungegenständliche, nur mit sich selbst beschäftigte Malerei spiegelt. Vom Informel der 50er Jahre führt jetzt ein breiter Weg bis zur konkreten Malerei unserer Zeit. Aus diesem Sammlungskonzept wurde ein ebenso konsequentes Ausstellungsprogramm entwickelt, das die Bestandsschwerpunkte stärkt und ergänzt. Diese Geradlinigkeit ist anerkennenswert, provoziert natürlich auch Widerspruch, weil dadurch andere Entwicklungslinien vernachlässigt werden.
Eine nachhaltige Bereicherung bedeutete 1987 der Erwerb eines Gemäldes von Jerry Zeniuk (Jahrgang 1945). Es handelte sich um ein Bild, das einem dichten, von dunklen Tönen beherrschten Farbteppich ähnelt. Gleichartige schwebende oder liegende Farbformen haben sich darin zu einem Ganzen verdichtet, ohne Zwischenräume zuzulassen. Elf Jahre später erwarb die Neue Galerie ein weiteres Zeniuk-Bild, das auch aus freien, gleichgeordneten Farbformen besteht. Doch die sind heller und leuchtender geraten und zwischen ihnen strahlt aus der weißen Fläche das Licht hervor.
Jetzt präsentiert Zeniuk in einer Sonderausstellung Gemälde und Studien aus den vergangenen sieben Jahren, die diesen Wandel von der dunklen geschlossenen Fläche zur hellen, aufbrechenden Form als eine konsequente Entwicklung festschreiben. Es ist, als habe der Maler, der mit massiven monochromen (einfarbigen) Gemälden begann, den Befreiungsschlag getan, um sich den hellen, von Licht durchfluteten Tönen zuzuwenden. Man kann diesen Entwicklungssprung aber auch anders sehen: Zeniuk, der es immer liebte, aus der Summe der Farben Flächen aufzubauen, ist den Farbformen immer näher gekommen, hat sie sozusagen mit der Lupe untersucht und dabei in den Farbteppichen die helleren Formen und auch die vom Licht beherrschten Leerstellen ausgemacht.
Ganz gleich, welche Betrachtungsweise richtig ist: Die Gemälde und Aquarelle, die jetzt in der Neuen Galerie zu sehen sind, haben kaum noch etwas mit dem zu tun, was Zeniuk vor 15 oder 20 Jahren machte. Die Malerei ist heller, lebhafter und fröhlicher geworden, dafür aber auch unverbindlicher. Manchmal erinnern die streifenförmig aufgebauten Kompositionen an Fahnen und Symbolträger. Jerry Zeniuk hat sich, das ist wohl der entscheidenste Punkt, von seiner Handschrift verabschiedet, um sich endgültig der freien, improvisierenden Malerei hinzugeben. Eine Endstation kann das nicht sein.
HNA 28 5. 1999