In den Farben den Raum entdecken

Der Berliner Maler Fred Thieler ist 83jährig gestorben. Er gehörte zu den Hauptvertretern abstrakter expressionistischer Kunst in Deutschland und war ein wichtiger Lehrer jüngerer Künstler.

Um 1980 meldete sich eine neue Malergeneration zu Wort. Mit ungewohnter Heftigkeit gingen sie zu Werke, schwelgten in Farben und Figuren und kümmerten sich überhaupt nicht darum, daß ihr Rückgriff auf die Anfänge des Jahrhunderts, auf die Expressionisten und die Fauvisten (Wilden), überhaupt nicht in die Zeit zu passen schien. Diese Neuen Wilden, wie sie bald gießen, setzten sich trotz vehementer Kritik durch.
Aber diese Künstler waren keineswegs aus dem Nichts gekommen. Sie hatten Lehrer und Vorbilder gehabt, die, ohne großes Aufsehen zu erregen, jahre- oder sogar jahrzehntelang in diese Richtung gearbeitet hatten. Sie wurden erst über ihre Schüler (wieder-)entdeckt.
Einer dieser wichtigen Wegbereiter war der aus Königsberg stammende Fred Thieler, der eigentlich Arzt werden wollte, bevor ihm ein Studienverbot im Jahre 1941 den Weg dazu verschloß.
Thieler studierte nach dem Krieg in München Malerei, fand sehr schnell Anschluß an die internationale Szene und trug als Mitglied der Gruppe „ZEN 49“ dazu bei, daß sich deutsche Künstler auch außerhalb des Landes behaupten konnten. 1959 und 1964 war er in Kassel an der documenta beteiligt. Es war die hohe Zeit der abstrakten Kunst, in der verschiedene Richtungen miteinander rangen. Fred Thieler verstand es, gegensätzliche Elemente so zu vereinen, daß er eine kontrolliert spontane Malerei entwickeln konnte, die sich auf die reine Sprache der Farbe und des Malgestus verließ. In diesen Bildern gibt es weder Ansätze noch Reste erzählerische Art. Alles ist in kräftige Farben umgesetzter Ausdruck von Stimmungen und Aktionen. Daß diese zuweilen chaotischen Bilder dann doch harmonische Kräfte freisetzten, hängt damit zusammen, daß Thieler in den Farbkompositionen immer wieder faszinierende Licht- und Raumwirkungen schuf. Er malte so, als gehöre der Raum naturbedingt zur Farbe.
Fred Thieler, der seit 1959 in Berlin an der Hochschule für Bildende Künste lehrte, hat seine Grundposition nie verändert. Zu seinen Schülern zählen zwar prominente kritisch-realistische Künstler, er selbst ließ sich aber nicht auf solche anderen Möglichkeiten der Kunst ein. Als er zu Anfang der 80er Jahre zusammen mit seinen „Enkeln“, den Neuen Wilden, wiederentdeckt wurde, war es, als würde er sich selbst befreien. Seine großformatige Malerei wurde noch frischer.
In den letzten Jahren war Thieler nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt. Trotzdem malte er weiter. Außerdem hat er einen mit 30000 dotierten Fred-Thieler-Preis gestiftet.
HNA 8. 6. 1999

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