Dokumentation der Wirklichkeit

Über vier Plattformen zur Ausstellung – Neunter Teil der Serie „documenta als Ort politischer Kunst“

Wie keine documenta zuvor nimmt die kommende politische Fragestellungen in den Blick. In einer zehnteiligen Serie gehen wir der Frage nach, inwieweit die documenta schon früher ein Ort politischer Kunst war.

Die Documenta 11 öffnete am 8. Juni 2002 ihre Tore. Dem eigenen Verständnis nach hatte sie schon viel früher begonnen, nämlich am 15. März 2001, als in Wien die erste Diskussions-Plattform „Demokratie als unvollendeter Prozess“ startete. Denn Okwui Enwezor und sein Team verstanden die Documenta 11 als eine Abfolge von fünf Plattformen, von denen die letzte (die fünfte) die Ausstellung in Kassel war. Bei den anderen vier handelte es sich um jeweils mehrtägige Diskussionsrunden, die in verschiedenen Städten rund um den Globus stattfanden.
In nahezu allen Diskussionsveranstaltungen ging es um aktuelle Fragen der Gesellschaft und der staatlichen Ordnung, um Gewalt und Globalisierung. Damit hatte sich die Documenta 11 in ihrem Vorfeld noch stärker als Catherine Davids Ausstellung von 1997 der politischen Wirklichkeit zugewandt.
Die vier Plattformen dienten dem politisch-philosophischen Diskurs. Dementsprechend wurden die Vorträge und Diskussionsbeiträge in eigenen Buchausgaben dokumentiert. Für Enwezor und sein Team gehörte diese theoretische Ebene selbstverständlich zur Ausstellung. Allerdings nahmen die meisten Besucher diesen vorausgeschickten Diskussionsprozess kaum zur Kenntnis. Auch wurde nicht nachvollziehbar, inwieweit die Künstler-Auswahl mit den politischen Fragestellungen zu tun hatte.
Die Ausstellung selbst jedoch ließ keine Zweifel aufkommen: Bei allem ästhetischen Vergnügen, für das die Documenta 11 in Teilbereichen sorgte, war sie eine der am stärksten politisch ausgerichteten Ausstellungen seit 1955 in Kassel.
Den stärksten Beitrag dazu lieferten die Foto- und Video-Arbeiten, die sich der Dokumentation der Wirklichkeit verschrieben hatten. David Goldblatt beispielsweise illustrierte den radikalen Wechsel in Südafrika: Er zeigte in Fotos, wie in der Zeit der Rassentrennung die Schwarzen Ausgestoßene waren und wie nach der Aufhebung der Apartheid-Politik sich die Weißen nun in selbst gewählte Gettos zurückzogen.
Daneben gab es gefühlsmäßig hoch aufgeladene Arbeiten wie die von Alfredo Jaar und Tania Bruguera, die durch die Form der Installation Gewalt und Bedrohung spürbar machten. Aber auch im klassischen Medium der Malerei war zu sehen, wie stark sich Künstler wie Leon Golub oder Fabian Marcaccio mit der alltäglichen Bedrohung auseinandersetzten.
Die Documenta 11 war die Ausstellung, in der die Kunst in der Wirklichkeit verankert wurde. Die Kunst um ihrer selbst willen war kein Thema mehr. Gleichzeitig war es die documenta-Schau, die als erste den Titel Weltkunstausstellung wirklich verdiente. In ihr wurden die Konsequenzen aus der Globalisierung gezogen, die nun auch die Kunst ergriffen hatte.

Nächste Woche: Ausblick auf die documenta 12
HNA 28. 3. 2007

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