Das Architekturkonzept von Ruth Noack und Roger Buergel
KASSEL. In der documenta 12 wird es bunt. documenta-Leiter Roger M. Buergel und seine Frau Ruth Noack holen nicht nur verstärkt die Malerei in die Kasseler Ausstellung zurück, sie nehmen auch Abschied von der weißen Wand, die seit Arnold Bodes documenta von 1955 prägend war: In nahezu allen Gebäuden wird es farbige Wände geben, die zuweilen, wie im 1. Stock der Neuen Galerie mit ihrem Pink-Ton, richtig knallen.
Für Ruth Noack ist damit eine grundsätzliche Kehrtwendung verbunden, wie sie gestern in einer Pressekonferenz in der documenta-Halle zur Vorstellung des Architekturkonzeptes sagte: Der so genannte white cube (weißer Würfel), der für die Kunst der Moderne bestimmend war, schließt als neutraler Raum die Kunst zur Außenwelt hin ab. Das Team der documenta 12 aber will die Ausstellung zur Gesellschaft und Wirklichkeit öffnen. Außerdem berufen sich die Kuratoren darauf, dass es außerhalb der westlichen Welt durchaus üblich sei, Malerei und Fotografie vor farbigen Wänden zu zeigen.
Zweites bestimmendes Element ist die Weite. Überall, wo es möglich war und ist, haben Noack und Buergel in Zusammenarbeit mit dem Architekten Tim Hupe Fensterfronten geöffnet und Wandeinbauten herausgenommen. Dabei verfolgen die Kuratoren zwei Ziele: Sie wollen den Kunstwerken, die präsentiert werden, Raum zur Entfaltung geben, und sie wollen es ermöglichen, dass sich die Besuchergruppen begegnen können, ohne sich gegenseitig in der Kunstbetrachtung zu behindern.
Während Ruth Noack dem white cube eine Absage erteilte, erklärte Buergel, dass viele Künstler durch das Biennalen-Unwesen verdorben seien und immer nur einen Schuhkarton wollten, in dem sie ihre Arbeit kontrollieren könnten. Die documenta\x0f12 setzt aber überall dort, wo es möglich ist, auf den Dialog der Kunstwerke und die Konfrontation. Nur vereinzelt wird es Räume geben, die Künstler für sich gestalten.
Geplant war es nicht, mittlerweile ist es Konzept: Die documenta-Leitung ist stolz darauf, ihre Ausstellung in Gebäuden aus vier Jahrhunderten zeigen zu können: Das Fridericianum, 1779 als Museum eröffnet, soll die Tradition der Wunderkammer aufnehmen. Die Neue Galerie aus dem 19. Jahrhundert wird eher intime Werke präsentieren. Die documenta-Halle als Bau des 20. Jahrhunderts verbindet Ausstellung und Kommunikation. Und der Aue-Pavillon als Bau des 21. Jahrhunderts steht für offene Begegnung und die Einmaligkeit des Ereignisses. Durch Ein- und Umbauten, vor allem aber durch die Rücknahme früherer Eingriffe wollen Noack und Buergel den älteren Gebäuden ihren Charakter zurückgeben.
HNA 25. 4. 2007
Kommentar: Die Welt wird bunt
Die documenta blickt auf eine 50-jährige Tradition zurück. Dieses ehrwürdige Alter hat sie auch deshalb erreicht, weil sie sich jedes Mal neu erfindet, sich andere Räume beschafft und diese in wechselnden Weisen benutzt.
Die kommende, von Roger Buergel geleitete documenta wagt sich beim Umgang mit der Architektur am weitesten vor. Nicht nur dadurch, dass sie sich mit dem Aue-Pavillon eine völlig neue temporäre Form geschaffen hat. Auch bei den älteren Gebäuden sucht sie die bewusste Auseinandersetzung: Hier werden Wände entfernt und dort neue Zugänge geöffnet. Das größte Geschenk ist das neue zentrale Treppenhaus im Fridericianum, das an diefrühere Rotunde-Treppe erinnert.
Die Kunst wird ab 16. Juni im Zentrum stehen. Aber beim Blick auf die Werke wird ins Auge springen, dass die Wände in zum Teil kräftigen Farben gestaltet sind. Für die mit Raufaser aufgewachsenen Generationen eine ungeahnte Perspektive. Aber erst bei der Eröffnung wird sich zeigen, ob und wie die Kunstwerke das vertragen.
HNA 25. 4. 2007