Extremfälle des Lebens

Das zweite documenta-Magazin

Je deutlicher die Umrisse der documenta 12 werden, desto verständlicher wird, \x14\x0f\x0fdass eines der drei Leitmotive die Frage nach dem „bloßen Leben” ist. Diese Grundfrage nach der menschlichen Existenz, den Extremfällen des Lebens, beschäftigt weltweit viele Künstler.
Anders ausgedrückt: documenta-Leiter Roger Buergel und sein Team haben zahlreiche Künstler gefunden, die auf unterschiedliche Weise die Frage aufgreifen, inwiefern Menschen ausgegrenzt und auf ihr „bloßes Leben” reduziert werden. Das zweite zur Vorbereitung der documenta 12 herausgegebene Magazin widmet sich diesem Themenbereich. Das Magazin ging aus dem internationalen, von Georg Schöllhammer geleiteten Zeitschriftenprojekt hervor, an dem sich rund 90 Redaktionen beteiligten. Der Begriff des „bloßen Lebens” geht auf den Philosophen Giogio Agamben sowie Walter Benjamin zurück.
Natürlich kann das „bloße Leben” auch als Quelle der Kreativität betrachtet werden. Jedenfalls sieht es so der Zagreber Künstler Mladen Stilinovic, der im Magazin Bilder vorstellt, die zeigen, wie er im Bett liegt und der Faulheit frönt.
Hauptsächlich wird das „bloße Leben” in den Beiträgen von Philosophen, Künstlern und Kritikern in dem Sinne verstanden, in dem es Agamben formuliert hat: Als den Ausschluss von Menschen aus der Gesellschaft, als ihre Verschleppung in Lager und seelische Verstümmelung. Der thailändische Historiker Nidhi Eoseewong etwa führt an der Geschichte seines Landes vor, wie nah beieinander Banditentum und staatliche Herrschaft liegen können. Besonders spannend ist der Artikel von Nancy Adajania (Mumbai), die anschaulich beschreibt, wie heutzutage in indischen Fernsehsendungen Verfolgungsjagden und Tribunale inszeniert werden, die an die antiken Gladiatorenkämpfe denken lassen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in dem Heft ist die Auseinandersetzung mit der Frage nach der dokumentarischen Rolle von Fotografie und Kunst. Der Einleitungstext mit seiner schweren Kost von Leo Bersani kann manchen abschrecken. Doch die meisten Beiträge sind spannend zu lesen und gut verdaulich.
Mehr noch als das erste Magazin zur Moderne enthält dieses Heft literarische Texte (Gedichte) und reich illustrierte Künstlerporträts. Beispielsweise werden die documenta-Teilnehmer Dmitri Gutov, Ines Doujak, Zoe Leonhard und Simryn Gill vorgestellt. Bei anderen wie Lidwien van de Ven, Mircea Cantor, Lilo Dujourie oder Masist Gül darf man spekulieren, ob sie hier bloß zur Illustration herangezogen oder ob sie auch in der Ausstellung vertreten sein werden.

documenta-Magazin 2: Leben! Life!, Taschen Verlag, Köln, 224 Seiten, 12 Euro.

HNA 12. 5. 2007

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