Die Farbe schwebt im Raum

Ausstellung Fritz Winter

Der Maler Fritz Winter gehörte zu der Künstler-Generation, für die die Abkehr vom Gegenständlichen eine Errungenschaft war, auf der sie aufbauen konnte. Vor allem die grundsätzlichen Überlegungen von Klee und Kandinsky sollten den jungen Kunststudenten am Bauhaus in Dessau stark beeinflussen. Selbst noch in seinem späteren Werk finden sich Kompositionselemente, die wie Relfexe auf Kandinskys Zeichensprache wirken.
Doch obwohl der Maler mit der Abstraktion aufgewachsen ist, gab er in seinen Zeichnungen und Gemälden nie ganz den Bezug zur erzählenden und darstellenden Kunst auf. Immer wieder stellte er (nicht bloß durch die Titel) Beziehungen insbesondere zum Landschaftlichen her. Gleichwohl liegt seine eigentliche malerische Leistung in der freien, von jeder gebunden Form gelösten Komposition, die sich ausschließlich auf die Spannung der Formen und die Schichtung der Farben konzentriert.

Fritz Winter war seinen Weg mit großer Konsequenz gegangen. Er hatte sich auch nicht dadurch beirren lassen, daß die
Nationalsozialisten 1937 den 32jährigen als „entartet“ einstuften und ihn mit Berufsverbot belegten. Heimlich malte er in seiner bewährten Weise weiter; allerdings gelang dies ihm nur dank der unermüdlichen Unterstützung durch seine spätere Frau, Margarete Schreiber-Rüffer.
In Kassel, wo Winter von 1955 bis 1970 lehrte und wo er mit Arbeiten auf den ersten drei documenten vertreten war, ist sein Werk wiederholt gewürdigt worden. Die nun in der Neuen Galerie zusammengetragene Ausstellung dokumentiert die Kasseler Museumsbestände, ergänzt um einige Werke aus Privatbesitz. Dabei wird auf kuriose Weise sichtbar, daß beim Ankauf der Malerei die privaten Sammler offensichtlich die stark farbigen Bilder (Rot-Blau-Kontraste) bevorzugten, während in die öffentlichen Sammlungen eher die Gemälde wanderten, in denen die gedeckten Farben und dunkleren Töne vorherrschen.
Die Ausstellung verdeutlicht anschaulich Winters malerische Entwicklung von sehr dichten, noch unter dem Einfluß der Konstruktivisten und Kubisten entstandenen Kompostionen über eher offene, zeichenhafte Bildgestaltungen bis hin zu wiederum dichten Farbfeldern und Farbräumen. Das für die Ausstellung wichtigste (und schönste) Bild wurde auch zentral plaziert: In dem Gemälde „Weite Horizontalen“ (1964) erscheinen die Farbfelder wie Wolken auf der Leinwand. Sie schweben anscheinend schwerelos im Raum. Auf der gleichen Palette ist das ein Jahr zuvor gemalte Bild „Der Brand“ aufgebaut; doch hier sind die Farbfelder in den Sog eines Wirbels geraten – alles scheint in Bewegung gesetzt und wird durch ein leuchtendes Rot explosiv gesteigert.

Die Staatlichen Museen in Kassel geben aber auch einen umfassenden Einblick in ihren üppigen Besitz an Winter-Zeichnungen und Grafiken. Hier kann man studieren, über welch immensen Ideenvorrat Winter verfügte und wie vielseitig die abstrakte Formensprache ist. Höhepunkte innerhalb der grafischen Sammlung sind die Farbaquatinta-Blätter und die kleinen Farbstudien.

HNA 25. 11. 1992

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