Fritz Winters Bild „Aus der Folge“ (1954)
Auf den ersten Blick scheint alles so einfach zu sein: Vor einem diffusen Hintergrund sind mit breitem Pinsel einige
Farbzeichen hingetuscht. Die Grundfarben Rot, Gelb und Blau sowie das weiße Feld leuchten heraus. Doch die schweren schwarzen Töne dominieren. Die Komposition, der
Fritz Winter (1905-1976) den schlichten Titel „Aus der Folge“ gab, entstand 1954.
Richtig einzuschätzen vermag man dieses mit ÖI- und Temperabild (auf Pappe) erst dann, wenn man weiß, daß Winter im selben Jahr nahezu 250 weitere Gemälde dieser Art geschaffen hat. Der Maler, der ein Jahr später als Professor an die Kasseler Hochschule berufen wurde, war zu jener Zeit ungemein produktiv. Läßt man anhand eines Werkverzeichnisses die Bilder des Jahres 1954 Revue passieren, dann merkt man, daß sich Winter auf einen äußerst intensiven Dialog mit der Fläche und der Farbe eingelassen hatte. Immer wieder suchte er neue Ansätze, um in der Fläche die Tiefe auszuloten: Mal setzte er die schwarzen, gestisch wirkenden Zeichen vor einen aufgehellten Hintergrund, dann wieder malte er den Grund düster zu, um aus der Tiefe helle Farben leuchten zu lassen.
Wie die Künstler des Informel nutzte Winter die Effekte des spontanen Farbauftrags. Manches erscheint wie hingewischt. Doch die Spontaneität ist Teil einer geplanten, sorgfaltig aufgebauten Malerei. Winter komponierte wohldurchdacht, entwickelte Dialoge zwischen Formen und Zeichen und nutzte häufig Schablonen, um die Farbblöcke aufzubrechen und – ohne daß er Räume schaffen mußte – den Flächen zu Tiefe verhelfen konnte. In diesem Bild baut sich eine Spannung zwischen den helleren, leuchtkräftigen Flächen auf. Ihre Gewichte sind geschickt in die Balance gebracht. Zugleich entstehen dynamische Kräfte durch die Pinselspuren und angedeuteten Diagonalen. Die Farbformen schweben in einem ungewissen Raum, und obwohl er durch und durch malerisch angelegt ist, treten die zeichnerischen Elemente stark in den Vordergrund.
Die Malerei hat in sich selbst ihr Thema gefunden. Und Fritz Winters Werk ist ein Beleg dafür, daß dieses Thema nicht zu erschöpfen ist.
HNA 13. 12. 1992