Die Malerei als Rätsel und Offenbarung

I. Kunst als Profession

Der Künstler braucht keine Begründung für seine Arbeit – außer der, die sich in seinen Werken manifestiert. Pitt Moog, der auf ein 50-jähriges künstlerisches Schaffen zurückblicken kann, käme in Verlegenheit, sollte er zur Erläuterung seiner Biografie erklären, warum er zum Maler und Zeichner geworden sei. Wenn man mit ihm über seine Arbeit spricht, über seine Bilder und Themen, dann gewinnt man den Eindruck, allmählich würde er die Antwort auf die Frage finden, die man als Freund und Bewunderer seiner Bilder am Anfang vermutet. Und überrascht nimmt man zur Kenntnis, dass Moog die Antwort nicht im Vollzug des Zeichnens und Malens ortet, sondern weit außerhalb, in der Auseinandersetzung mit der Welt und ihren Problemen.

Auch dann, wenn man bereit ist, sich von diesen Gedanken leiten zu lassen, sollte man einen Augenblick bei Moogs Arbeitsweise verweilen. Denn dann wird man erkennen, dass die Widersprüchlichkeit zwischen rationaler Klarheit und impulsiver, emotionaler Gestimmtheit, die die Welt und auch die Kunst kennzeichnen, Moogs Künstlertum zugleich spaltet und befruchtet. Wenn er an einem Bild zu arbeiten beginnt, lässt er sich ganz schnell in das Bild hineinziehen und sich von dem Papier oder der Leinwand, von den Falten oder Farbflecken die Entwicklung der Komposition diktieren. Hier trägt er eine Farbe auf und reibt sie wieder weg, dort setzt er eine Linie und da klebt er ein vorbereitetes Papier so in die Fläche, dass die Collage kaum noch zu erkennen ist. Das Bild baut sich jenseits der Ratio als eine Mixtur auf, die von Gefühlen für Farben und Formen sowie von Stimmungen und unbewussten Erinnerungen bestimmt ist. Das Bild entsteht als Rätsel; dessen Offenbarung ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit ihm.

Wichtig an dem Prozess ist, dass Pitt Moog von Anfang an diese Form des Gestaltens als Profession berieb. Nicht im Sinne des Gelderwerbs, sondern als eine Form des Lebensvollzugs, zu dem es keine Alternative gibt. Er hatte an der Akademie in Kassel bei Arnold Bode und noch mehr bei Fritz Winter das Malen gelernt. Er studierte, wie man Kompositionen aufbaut und profitierte dabei von den Errungenschaften der Moderne. Denn das Bild verwandelte er nicht im Sinne der Tradition in einen Raum, sondern beließ es als Fläche. Die Farbe sollte Farbe bleiben, und da, wo er andere Materialien hinzufügte, verfestigte er den Illusionsbruch. Ja, selbst die Verfärbungen und Verunreinigungen nutzte er als Aktivposten seiner Kompositionen.

Malen als Profession. Dazu gehören Unbedingtheit und Besessenheit, aber auch Ausdauer und selbstkritische Distanz. Die einmal gefundene Form trägt für Moog nur so lange, so lange keine bessere gefunden hat. Daher ergibt ein Bild das andere und kommt der Maler an kein Ende. Als Student hat er gelernt, aus Farben Harmonien aufzubauen, wohlige Klänge zu erzeugen. Schon bald hat sich der junge Künstler von diesem Wissen und Können bewusst abgewendet. So, wie er versuchte, das Bild als reine Fläche zu gestalten, so arbeitete er gegen die traditionelle Vorstellung an, schöne und glatte Gemälde zu erzeugen. Bestärkt durch das, was die Künstler der Art Brut und einige informelle Künstler schufen, suchte Moog erst einmal die Disharmonien, die rohen Formen und spröden Farben. Um diese Bemühungen zu verstärken, erweiterte Moog die Bildsprache und bezog in Form von Collagen fertige Elemente ein, die die Brüchigkeit betonten.

Nun könnte man folgern, damit habe sich Moog von den Gesetzen der malerischen Schönheit und Reinheit abgewendet. Doch dieser Schluss ist falsch. Gerade die Bilder der letzten Jahre entfalten Wirkungen, die man unumwunden als schön bezeichnen kann. Allerdings ist das eine auf Umwegen erreichte Schönheit. Man sieht Kompositionen, die aus unterschiedlichsten Elementen zusammengesetzt sind, die Brüche aufweisen und von konkurrierenden Formen beherrscht werden und die trotzdem eine erstaunliche Transparenz und Klarheit erreichen und bei aller Brüchigkeit sich zu Einheiten zusammenschließen.

Wenn man solche Bildwirkungen sieht, entsteht zuweilen der Verdacht, so sehr könne ein begabter Maler gegen seine Natur und seine Kunst nicht arbeiten, als dass am Ende nicht doch eine überzeugende und geschlossene Form entstehen könne.

II. Vor dem Anfang – und kein Ende der Malerei

Ihre stärkste Erneuerung bezog die Kunst des 20. Jahrhunderts aus der wiederholten Hinwendung zu den so genannten primitiven und naiven Kunstwerken, wie sie in Afrika und in der Südsee, in den Höhlenmalereien oder in der Welt der Kinder und Geisteskranken entdeckt wurden. Die Arbeiten von Picasso, Gauguin, und den Expressionisten, von Dubuffet und Baselitz sind ohne die Hinwendung zum Primitiven nicht denkbar. Die meisten dieser Künstler hatten sich für einige Zeit mit dieser Motivwelt auseinandersetzt, um sich dann wieder anderen Dingen zuzuwenden.

Anders entwickelte sich diese Auseinandersetzung bei Pitt Moog. Die Bilder aus den vorgeschichtlichen Kulturen, die Felszeichnungen und Höhlenmalerei wurden zu seinem Lebensthema. In immer neuen Anläufen näherte er sich ihnen, suchte Vorbilder und Verwandtschaften und setzte alles daran, jenseits der Bildsprache den Urkräften der Höhlenbilder auf die Spur zu kommen.

Dank der zeitgenössischen Kunst erscheint uns die Bilderwelt jener Kulturen, die uns die Höhlenmalerei hinterließen, gar nicht so fremd. Wir erkennen vertraute Zeichen und Figuren und wir spüren den Drang zur Zeitlosigkeit. Aber wir übersehen leicht, dass wir wahrscheinlich nur im übertragenen Sinne von Malerei sprechen können. Denn die Malerei als eigenständige Form der Bildgestaltung entstand erst später. Die Fels- und Höhlenbilder hatten allem Anschein nach mit diesem kunstgeschichtlichen Verständnis wenig oder nichts zu tun. Sie waren wohl der Magie gewidmet, der Hoffnung und Beschwörung, dem Opfer und dem Dank.

Das war Malerei vor der Malerei, nicht aus einem Kunstwillen geschaffen, sondern aus einem Auftrag. So schlägt Pitt Moog mit seinem künstlerischen Werk eine Brücke über die Zeit und Kulturen zu jenen Anfängen, in denen Bilder nicht schmückten, sondern Teile der menschlichen Lebenspraxis waren. Umgekehrt holte er die vorgeschichtlichen Motive in unsere gegenwärtige Kunstwelt, um ihre Unverbrauchtheit vorzuführen. Die Malerei, so lehrt er uns, hat einen Anfang, aber ein Ende hat sie noch lange nicht.

Pitt Moog hat sich so intensiv auf diese Motivwelt eingelassen, dass sich seine Farbpalette ihr ganz angepasst hat: Seine Bilder sind dominiert von kräftigen Braun-, Schwarz- und Rottönen, zuweilen treten weiße und sandfarbene Flächen hinzu. Das sind die Farben der Sandwüsten, Felszeichnungen und Höhlenwände. Sie waren anfangs dunkel bis düster und wurden in den letzten Jahren offener und heller. Betrachtet man einige von Moogs Kompositionen, dann könnte man den Eindruck gewinnen, der Maler habe sich nicht nur von den in den Höhlen dargestellten Figuren und Tieren inspirieren lassen, sondern habe auch die Wucherungen der Farben auf den Wänden in seine Bilder übernommen. Der Eindruck ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Richtiger aber ist, dass die Höhlenwände in ihrer Struktur in überraschender Weise dem Farb- und Flächenverständnis des Malers nahe kommen.

III. Konsequenz und Abwege

Die Fülle, die Pitt Moog im Laufe von fünf Jahrzehnten geschaffen hat, ist unglaublich. Die Kraft der Bilder und ihre souveräne Qualität sind es ebenfalls. Die Konsequenz, mit der sich Moog seinen Motiven aussetzt, ist beispiellos. Und immer noch scheint er den Themenkreis nicht ausgeschöpft zu haben. Wie sonst könnte er sich immer wieder mit frischer Kraft dieser Verknüpfung von Gegenwart und Urzeit hingeben, so als hätte diese Motivwelt gerade erst entdeckt.

Als Moog in den 50er-Jahren sein Künstlertum entwickelte, sah er sich in den heftigen Streit von erzählend-gegenständlicher und abstrakter Kunst hineingezogen. Bevor er 1964 mit seiner Malerei in die documenta eingeladen wurde, hatte er bei den ersten beiden großen Kasseler Ausstellungen als Schüler von Arnold Bode mitgewirkt. Dabei konnte er erleben, dass sich die Frontlinie zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit mitten durch die documenten zog. Auch seine beiden Lehrer, Arnold Bode und Fritz Winter, standen, wenn auch nicht so radikal wie andere, für die beiden Grundprinzipien: Fritz Winter war einer der von Bode hoch geschätzten Pioniere einer freien, von allem Darstellerischen losgelösten Malerei, während Bode bei alle Abstraktionsbestrebungen immer den Bezug zum Erzählerischen und zur Landschaft beibehielt.

Der junge Maler überwand für sich selbst die Frontstellung und fand einen Weg, auf dem er je nach Erfordernis mal stärker der einen oder anderen Seite zuneigte. Wenn man es genau nimmt, dann war Moogs Neigung zum freien Spiel der Formen und Farben am Ende ausgeprägter als der Drang zur erzählerischen Komposition. Überblickt man das reiche und von neuer Kraft getragene Werk der letzten Jahre, dann entdeckt man, dass der Maler oft beiden Prinzipien huldigte.

Weiter oben war die Rede davon, dass Moog die eigenwilligen Farbformationen der Wände, auf denen die Höhlenmalereien zu sehen sind, als Vorbilder für seine malerischen Untergründe wählte. Konzentriert man sich eine Weile auf die malerische Schicht, die unter den figürlichen Elementen liegt, dann bestätigt sich nicht nur dieser Eindruck. Weit mehr: Man sieht, wie sich im Untergrund eine freie Malerei entfaltet, die nicht nur von allem Gegenständlichen losgelöst ist, sondern die sich auch immer wieder (mit Hilfe der collagierten Elemente) selbst in Frage stellt. Diese untere Schicht vibriert und changiert, in ihr gewinnt die Komposition ihre Kraft, von der die darüber gelegten figürlichen Formen profitieren.

Diese Dualität zieht sich durch das gesamte Werk, wobei sich natürlich die Akzente immer wieder verschieben. Aber es hat im Laufe der Jahre auch mehrfach Ausbruchversuche gegeben. In den 70er-Jahren etwa schuf Pitt Moog eine Serie von Zeichnungen und Aquarellen, die sehr viel heller und zarter waren und in denen sich stärker landschaftliche Bezüge und figürliche Darstellungen durchsetzten. Auf einmal wurde eine Tendenz zum Surrealen spürbar. Eine völlig andere Natur des Malers und Zeichners wurde sichtbar. Innerhalb des Gesamtwerkes entpuppte sich dieser Weg als Abweg.

Aber er war nicht umsonst. Das Surreale hat Moog zwar nicht weiter verfolgt, aber seine Lust an einer Malerei, die sich auf das Zeichnerische konzentriert, ist geblieben. Die in den letzten Jahren entstandenen Bildfahnen und Rollbilder sind ein eindeutiger Beweis dafür. Auf ihnen sammeln sich wie in lexikalischer Reihung die menschlichen Gestalten und Tiere, die Moogs Arbeiten bevölkern. Sie erscheinen nun wie zeichnerische Auszüge. Ihre Klarheit wirkt überraschend. Es ist so, als hätten sie die farbige Welt, an die sie eigentlich gebunden sind, abgestreift und hinter sich gelassen.

IV. Zwischen Ratio und Urkräften

Was vermag Kunst? Lange, viel zu lange haben wir Kunstwerke und insbesondere die Malerei im Sinne von Immanuel Kant als etwas Zweckfreies betrachtet: Bilder schmücken sie können gefallen, vielleicht auch provozieren, aber alles spielt sich im ästhetischen, zweckfreien Raum ab. Erst in jüngerer Zeit gibt es verstärkte Bestrebungen, die Kunst in der Gesellschaft stärker zu verankern und ihr eine kritische, aufklärerische Rolle zuzuweisen. Wenn Pitt Moog sagt, er male, um für sich die Fragen der Welt zu klären, dann zielt er zwar auf die Kraft der Ratio. Doch die kritisch-analytische Vernunft bemüht erst im Nachhinein, nach Vollendung eines Werkes. Aber den malerischen Vollzug selbst versteht er keineswegs als einen Prozess im Sinne der Aufklärung.
Eher gilt das Gegenteil: Pitt Moog versucht, gegen die eigene Natur und Kunstfertigkeit anzumalen, er bemüht sich, den rationalen Steuerungsprozess zu überwinden, um jene Direktheit und archaische Naivität zu erreichen, die er bei den Schöpfern der Fels- und Höhlenbilder ebenso vermutet wie bei den heutigen Nachkommen jener Völker, die den Bruch mit der Natur und ihren Gottheiten noch nicht vollzogen haben. Das heißt: Für Pitt Moog geht es nicht bloß um stilistische Annäherungen an Bilder aus vorgeschichtlichen Kulturen, ihm liegt weit mehr daran, in der Malerei so sehr aufzugehen, dass er den Bildraum in einen Energieraum verwandeln kann. Die rätselhafte Magie des Bildes, die wir den urzeitlichen Dokumenten unterstellen, will Moog wiedergewinnen.
Er weiß natürlich, dass der Lauf der Zeit nicht aufzuheben ist und dass auch er ein Kind der Moderne ist. Die Überlieferung und Geschichte lassen in aller Härte erfahren, dass die eine stimmige Welt nicht zurückzuholen ist, sondern dass er lernen muss, mit den Bruchstücken und Scherben der Geschichte umzugehen. Darauf hat sich Moog eingestellt. Wenn er seine Gemälde aus verschiedenen Elementen zusammensetzt, vor allem dann, wenn er sich der Collage bedient, dann gibt er klar zu erkennen, dass er um den Verlust der Einheit weiß.
Gleichwohl ist er sicher, dass er, wenn er sich mit seiner ganzen Existenz auf seine Bilder einlässt, wenn er sich ihnen ausliefert und die allmählich entstehenden Kompositionen als ihn leitende Kräfte akzeptiert, Energien freisetzen kann, die über das Ästhetische hinauswirken. Damit steht Moog in einer guten Tradition, denn für viele Künstler ist die eigene Arbeit nur deshalb so spannend, weil sie Dinge hervorbringt, die sie selbst nicht steuern konnten und mit denen sie nicht gerechnet hatten.
Nur ein Werk, das bis zuletzt Rätsel birgt, verdient, als Kunst betrachtet zu werden. Und eben weil es ein Rätsel bleibt, ermöglicht es unerwartete Offenbarungen. Je länger Pitt Moog arbeitet, desto klarer wird für ihn diese Vorstellung.

Schreibe einen Kommentar