Mäc-Geiz im Museum

politica-Schild an einer TanneChristoph Büchels „Deutsche Grammatik“ in der Kunsthalle Fridericianum 5. 9. – 16. 11. 2008

Mit einem Paukenschlag begann der Niederländer Rein Wolfs seine Arbeit als Leiter der Kunsthalle Fridericianum in Kassel. Bevor die Feuilletons über die Eröffnungsausstellung „Deutsche Grammatik“ von Christoph Büchel berichteten, beschäftigten sich die Nachrichtenredaktionen mit dem Projekt. Zu verdanken hatten das Wolfs und Büchel den im Bundestag vertretenen Parteien. Die hatten nämlich kurz vor dem Ausstellungsstart ihre Mitwirkung an der von Büchel arrangierten Parteien-Messe „politica“ abgesagt. Büchel hatte alle 115 beim Bundeswahlleiter registrierten Parteien eingeladen, sich und ihr Programm an dem Wochenende nach der Eröffnung an einem Messestand in der Kunsthalle Fridericianum zu präsentieren. Mit einer Verbeugung vor dem Ort und seiner Geschichte hatte Büchel das blaue documenta-d, das Arnold Bode als Signet für seine erste documenta entworfen hatte, zum Logo für die Parteien-Messe benutzt, indem er es auf den Kopf gestellt hatte und somit ein „p“ daraus wurde.
38 der 115 Parteien hatten ihre Mitwirkung zugesagt. Als jedoch den etablierten Parteien klar wurde, dass sie sich nicht nur neben der Tierschutzpartei und verrückten Organisationen wie der Partei der Nichtwähler vorstellen würden, sondern auch neben den Republikanern und der NPD, zogen sie ihre Zusage zurück und empörten sich über die Einladung der Rechtsextremen. Doch genau dadurch wurden sie zu aktiven Mitspielern in Büchels Ausstellung, in der der schweizerische Künstler deutsche Realität spiegeln will: Erstens waren die Parteien, die sich verweigerten, in der „politica“ doch präsent, weil ihre Stände reserviert und vorbereitet waren und nun in unterschiedlicher Weise ihre Absage dokumentiert wurde. Zum anderen offenbarten sie indirekt die Widersprüchlichkeit ihres Handelns. Zwar wollen sie nicht in einen Topf mit den Rechtsextremen geworfen werden, doch haben sie keine Scheu, ein Parteienfinanzierungssystem aufrecht zu erhalten, von dem die Rechtsextremen genauso profitieren können wie die demokratischen Parteien.
Christoph Büchel hatte mit dieser Realinszenierung den wunden Punkt der deutschen Parteienlandschaft getroffen. Für die restliche Laufzeit der Ausstellung blieben die verwaisten Messestände der Parteien stehen, so dass bis zum Schluss sichtbar bleibt, wie bunt und in sich widersprüchlich die deutsche Parteienlandschaft ist.
Poiizeiwagen vor dem FridericianumDer Titel „Deutsche Grammatik“ bezieht sich auf Jacob und Wilhelm Grimm, die vor knapp 200 Jahren exakt in den Räumen als Bibliothekare und Sprachforscher arbeiteten, in denen Büchel jetzt das deutsche Wesen in einem Bilderpuzzle anschaulich zu machen versucht. So wie der Künstler selbst möglichst unsichtbar bleiben will, so versagt er sich Kommentare oder einen eigenen Stil. Er löste vielmehr aus der Alltagswelt Segmente heraus und verpflanzte sie originalgetreu in seine Ausstellung, die von ihren Dimensionen her die größte Einzelausstellung ist, die jemals in Kassel zu sehen war.
Was ist denn nun des Deutschen Vaterland, wie Büchel es sieht? Es ist ein Land, in dem die Konsum- die Musentempel verdrängt und besetzt haben, in dem „Geiz ist geil“ zum Leitmotiv geworden ist, in dem Ordnungsliebe und kleinbürgerliche Idylle die Hinterzimmer prägen, in dem die Stasi-Schnüffelei und die bierselige Gemütlichkeit eine merkwürdige Verbindung eingegangen sind und in dem die Zerstörung der Kultur ratlos macht.
Bei der Komposition seiner Ausstellung bediente sich Christoph Büchel zahlreicher Mittel, die schon andere Künstler erfolgreich erprobt haben. Bereits Claes Oldenburg hatte vor drei Jahrzehnten daran gedacht, ein Billig-Kaufhaus einzufrieren und es Jahre später als Readymade auszustellen. Auch haben Künstler wie Guillaume Bijl Realinszenierungen auf unterschiedliche Weise erprobt. So hatte Bijl vor 20 Jahren im Kasseler Kunstverein das Szenario einer Kandidatenkür in einer Partei als Raumbild präsentiert. Gleichwohl hat Büchel mit seiner Verknüpfung der verschiedenen Realitätsausschnitte eine der radikalsten Ausstellungen geschaffen, die aus der Vermischung von Kunst und Wirklichkeit ihre Spannung bezieht.
Rein Wolfs im Mäc-GeizWer die Kunsthalle Fridericianum betritt, landet zuerst in einer Filiale der Billigkette Mäc-Geiz, in der man tatsächlich einkaufen kann, vorausgesetzt, man hat an der Mäc-Geiz-Kasse eine Eintrittskarte gelöst. Überhaupt ist in der Rotunde das Fridericianum zum Konsum- und Fitnesstempel geworden – mit einem 12 Meter hohen Weihnachtsbaum, mit Sonnenbänken und Spielautomaten, mit Werbeständen für die neuen Bundesländer und einem Trimm-dich-Raum. Bestechend an den Rauminszenierungen ist Büchels Detailversessenheit. Besonders deutlich wird das in dem Raumgefüge, in dem Elemente des Leipziger Stasi-Hauptquartiers rekonstruiert sind – ein Festsaal, eine Großküche und eine Kneipe mit Kegelbahn. Der DDR-Mief wird hier genauso spürbar wie die Abrechnung mit dem Spitzelsystem: Man bewegt sich in einer Zwischenwelt, denn Büchel hat den Zustand rekonstruiert, der zu sehen war, nachdem die Stasi-Leute ihre Akten und Fotos vernichtet und das Gebäude verlassen hatten. Nun erleben wir die Räume als ein gewaltiges Papier- und Materiallager, in dem mühsam Fotos und Akten wieder zusammengefügt werden.
Zur „Deutschen Grammatik“ gehört auch, dass Teile des Museums Fridericianum zugenagelt, leer geräumt und zerstört wurden. Das einstige Museum ist verschwunden. Geblieben sind nur das Hausmeisterbüro mit Hitlers Bild von einem Schäferhund sowie eine von der Mauer durchzogenen deutschen Normalwohnung, durch die man sich ähnlich quetschen (und kriechen) muss wie durch Gregor Schneiders Haus „u r“. Sieht so die deutsche Kulturwirklichkeit aus? Büchel provoziert die selbstkritische Prüfung. Das gilt genauso für den Saal, in dem sich das „Islamische Zentrum Kassel“ befinden soll, dessen Tür aber verschlossen ist.
Blindgänger vor dem FridericianumChristoph Büchel entwirft ein vielschichtiges und entlarvendes Bild einer Gesellschaft, die brüchig geworden ist und einen Teil ihrer Werte verloren hat. Intakt ist sie, so scheint es, nur noch im ländlichen Raum. Denn vor dem Fridericianum hat Büchel einen Teil des Friedrichsplatzes in einen frisch gepflügten Acker verwandelt, auf dem als Relikte der bäuerlichen Arbeit eine emaillierte Wanne als Tiertränke, ein Gülle-Wagen und ein Traktor stehen. Deutsch-Land im Herbst. Das Denkmal des Landgrafen Friedrich II., um das sich zur documenta 12 das Karussell von Andreas Siekmann drehte, ist nun in einem Siloturm verschwunden, der den Platz krönt. Eine eingefrorene Welt. Damit hat es nach Sonja Ivecovic, die im documenta-Sommer 2007 den Platz als Mohnfeld erblühen ließ, ebenfalls geschafft, den Friedrichsplatz in ein stimmiges Bild umzuformen.
Das zur Ausstellung erschienene Katalogbuch ist als Künstlerbuch gestaltet und kostet 35 Euro.

Kunstforum 194, November 2008

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