Das Jahr 1983 muß eine neue Planung für die Nutzung des Fridericianums bringen
Das documenta-Jahr 1982 hat eine Diskussion wieder aufflackern lassen, die von einigen politischen Kräften und Museumsleuten nur mit Widerwillen zur Kenntnis genommen wird: die Diskussion um die Zukunft des Museums Fridericianum. Diesen Kräften ist der 1979 erzielte Kompromiß heilig, daß das Fridericianum in ein technisches Museum und in eine Ausstellungshalle aufgeteilt und alle vier bzw. fünf Jahre zu etwa fünf Sechsteln für die documenta frei- geräumt wird.
Doch kann man mit diesem Kompromiß wirklich leben? Je länger man darüber nachdenkt, desto klarer lautet die Antwort: Nein. Das geschieht nicht, um einem Museum bzw. Museumsteil das Existenz- und Entfaltungsrecht zu bestreiten. Im Gegenteil, es gibt viele gute Gründe dafür, in Kassel unter dem Dach der Staatlichen Kunstsammlungen ein technisches Museum auszubauen.
Die Ausbaupläne haben jedoch einen Geburtsfehler: Sie wurden (vor 20 Jahren) in einer Zeit entwickelt, in der noch nicht abzusehen war, daß die documenta zu einer dauernden Institution und darüber hinaus zu d e r Kunstausstellung der westlichen Welt werden wurde. Der Kompromiß von 1979 berücksichtigt zwar die documenta-Existenz, tut aber so, als bestehe das Problem dieser internationalen Ausstellung lediglich darin, ein Mindestmaß an Quadratmetern zu erhalten. Aber, und das haben die jüngsten documenten gezeigt, es geht nicht um die Addition von Ausstellungsflächen, sondern um Räume und Raumzusammenhänge.
Allein die Gesamtsituation der klassizistischen Architektur hat zum Überleben der documenta-Idee in Kassel beigetragen. Das Fridericianum als roher, immer wieder neu gestaltbarer Gesamtkörper ermöglichte das Phänomen documenta und trug dazu bei, daß selbst Institutionen wie der Kunstmarkt nach Kassel schielten. Und es war kein Zufall, daß die docurnenta 7 mit der Kunst auch den Raum feierte. Genau dies würde die Umsetzung des Kompromisses für die
Zukunft verhindern: Denn nach den jetzt gültigen Vereinbarungen bliebe das technische Museum auch während der documenten im Tiefgeschoß, im linken Fügel des ersten Stockwerks (einschließlich des hohen Saales über dem Vestibül) und im Zwehrenturm. Wer die Festschrift für Erich Herzog (Kunst in Hessen und Mittelrhein Nr. 22) sorgfältig studiert, sieht, daß die Ausbaupläne des technischen Museums auch die Rotunden (im ehemaligen zentralen Treppenhaus) einschließen. Das heißt, das Versprechen, fünf Sechstel stünden der documenta zur Verfügung stimmt gar nicht; es wären bestenfalls fünf Siebtel. Was jedoch viel schwerer wöge: Mehr als ein Viertel der schönsten Tageslichträume ginge der documenta verloren. Und: Es wäre kein sinnvoller Rundgang mehr durch die Ausstellung möglich.
Das Faszinosum Fridericianum wäre verloren und mit ihm eine innere Begründung für Kassel als documenta-Standort. Die Stadt- Spitze hat das mittlerweile klar erkannt: Oberbürgermeister Eichel und Kulturdezernent Wurbs werben seit langem dafür, den Kompromiß zu überdenken und nach neuen Lösungen zu suchen. Ein Signal dafür ist die Anhörung, bei der Anfang nächsten Jahres Experten und Betroffene noch einmal über die Nutzungsplanung für das Fridericianum diskutieren sollen.
Fruchtbar wird eine solche Diskussion nur, wenn sie sich einerseits nicht gegen das technische Museum wendet, andererseits aber die überragende Bedeutung der documenta für Kassel und die Kunstwelt zugleich anerkennt; und wenn sie in eine generelle Nutzungsplanung für die Kasseler Ausstellungsgebäude eingebunden wird.
Das heißt: Man muß Abschied nehmen von dem Kompromiß und eine Regelung finden, die folgende Punkte berücksichtigt:
1. Jede Planung für das Fridericianum muß sich daran orientieren, daß die documenta als Weltereignis Vorrang hat und durch andere Projekte nicht gefährdet werden darf.
2. Das Gebäude muß für die documenta als Ganzes zur Verfügung stehen. In den Jahren dazwischen können nur solche musealen Abteilungen im Fridericianum installiert werden, die im documenta-Jahr auch ganz ausziehen.
3. Im Innern muß das Fridericianum so roh wie bautechnisch möglich bleiben; alle weitergehenden Ausbaumaßnahmen würden zu Hindernissen für die aktuelle Kunst (siehe die schlechten Erfahrungen in der Neuen Galerie).
Daraus folgt die Frage, ob unter diesen Bedingungen das Fridericianum noch der geeignete Ort für das technische Museum wäre. Oder ob nicht dieses Museum dort besser aufgehoben wäre, wo ein Teil der zu zeigenden Großgeräte entstand nämlich in der alten Fabrikhalle K 18, die auf dem ehemaligen Henschelei-Gelände steht und hauptsächlich dank der Stoffwechsel-Ausstellung vor dem Abbruch gerettet wurde. Hier böte sich ein idealer Ort für das technische Museum – in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bereich Technik der Gesamthochschule. Bei Verzicht auf einen aufwendigen Innenausbau des Fridericianums könnten beträchtliche Mittel zum Ausbau der K 18 umgeleitet werden.
In einem Teil des Fridericianums könnten stattdessen die Staatlichen Kunstsammlungen im Wechsel Dauer-Ausstellungen einrichten, in denen einzelne Abteilungen für jeweils drei oder vier Jahre ihre in Depots verborgenen Schätze ausbreiten können (Volkskunde, Kunstgewerbe, Vor- und Frühgeschichte). Das käme den einzelnen Abteilungen zugute, ohne daß das Fridericianum blockiert wurde. Der andere Teil stünde, wie auch bisher geplant, für wechselnde Kunstausstellungen zur Verfügung.
Nicht weniger wichtig aber ist es, daß sich die Stadt, die Staatlichen Kunstsammlungen, die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten sowie die documenta GmbH auf die Benennung eines Koordinators einigen, der die Nutzung der Ausstellungsgebäude Fridericianum und Orangerie steuert und dafür auch wirbt. Von allein kommen die Projekte nämlich nicht nach Kassel.
HNA 31. 12. 1982