Was wird aus dem Fridericianum?

Im Vorfeld der documenta 7 malten deren Macher ein Schreckgespenst an die Wand:
Sobald nach Schluß dieser internationalen Kunstschau die letzten Bilder und Objekte das Kasseler Museum Fridericianum verlassen haben, ziehen die Handwerker ein und richten im Innern ein perfektes Museumsgebäude im Stile der Neuen Galerie her – mit abgehängten Kassettendecken, Holzvertäfelung und Fußböden aus edlem Stein. Dann werden noch Kabinettchen gebaut und in dem Teil, der als technisches Museum gedacht ist, Vitrinen aufgestellt. Am Ende sind 12 Millionen DM verbaut, doch in dem Gebäude ist keine documenta mehr möglich.

So überspitzt vorgetragen dieser Alptraum auch war, völlig unbegründet schien er nicht. Schließlich erfuhr jetzt zum zweiten Mal ein documenta-Team, wie sehr die Innenarchitektur von Neuer Galerie und Orangerie eigentlich gegen die Inanspruchnahme durch junge, experimentelle Kunst gerichtet ist. Genau diese Fehl-Entwicklung sahen Rudi Fuchs und Walter Nikkels auf das Fridericianum zukommen. Und wenn die beiden die Parole ausgaben, das Fridericianum gehöre längst nicht mehr der Stadt Kassel oder dem Land Hessen, sondern der zeitgenössischen Kunst in der Welt, dann dachten sie erst einmal an zweierlei: verhindern, daß das Gebäude in seiner Bestimmung so festgelegt wird, daß es als Gesamtkomplex nicht mehr für die documenta genutzt werden kann, und verhindern, daß die Ausbaurnaßnahmen die Räume der documenta-Kunst entziehen.

Der Leiter des zuständigen Staatsbauamtes, Gerhard Meyer, weist die Schwarzmalerei als unbegründet zurück. Über die weiteren Innenausbaumaßnahmen sei überhaupt noch nicht entschieden. Erst nach Ende der documenta 7 werde man in Zusammenarbeit mit einem Innenarchitekten daran gehen, einen Ausbauplan zu erarbeiten, der frühestens im März/April nächsten Jahres genehmigungsfähig sei.

Das heißt: Es ist noch nichts vorentschieden. Vom Planungsstand her ist noch jede Anderung der Fridericianums-Nutzung möglich. Zwar sind die Signale schon auf Teilung des Gebäudes gesetzt, abzulesen an der Beseitigung des zentralen, freizugigen Treppenhauses, doch umdenken könnte man noch, wenn man wollte.
Aber wollen die Beteiligten und Verantwortlichen überhaupt umdenken? Bislang stehen neben den documenta-Vorkämpfern nur Kassels Oberbürgermeister Eichel und Kulturdezernent Wurbs, die zwischen den documenten das Fridericianum gern als Museum der zeitgenössischen Kunst sähen, eindeutig auf dem anderen Ufer. Immerhin ist jedoch in der Stimmungslage eine leichte Tendenzwende zu verzeichnen: Zwar steht noch nicht der Nutzungs-Kompromiß zur Diskussion, doch wächst die Zahl derjenigen, die mit Nachdruck fordern, daß der Fridericianums-Ausbau auf keinen Fall weitere documenten gefährden dürfe.

Unterstützung hat diese Seite durch den Wechsel in der Leitung der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel erhalten. Erich Herzogs Nachfolger Ulrich Schmidt stellt zwar den Kompromiß nicht in Frage, doch ist er auch dagegen, auf Biegen und Brechen an ihm festzuhalten. Er meint jedenfalls, daß man auf der Grundlage des Kompromisses die documenta 8 „versuchen“ solle. Erwiesen sich allerdings die Erfahrungen als schlecht, sei er bereit, völlig neu zu überlegen und zu diskutieren.
Für die unmittelbare Zukunft hat er allerdings zwei klare Forderungen: An jedem Planungsschritt für das Fridericianum sollen die Staatlichen Kunstsammlungen und die documenta als unmittelbar Betroffene beteiligt werden. Und: Das Gebäude müsse im Innern so gestaltet werden, daß die Nutzung jederzeit verändert werden könne. Die Staatlichen Kunstsammlungen hätten ein gleichgroßes Interesse an der vielseitigen Verwendbarkeit dieses Hauser wie die documenta. Schließlich brauchten auch die Kunstsammlungen gelegentlich ein Haus für überdurchschnittlich (große) Ausstellungen.

Fazit: Der Wiederaufbau darf nicht zum restaurativen Akt werden. Es wäre ein Hohn wenn Kassel die documenta nui deshalb verlöre, weil Geldmittel zur perfekten Instandsetzun1 bewilligt werden.

Wenn weiterhin möglich sein soll, daß alle fünf Jahre avantgardistische Kunstideen im Fridericianum verwirklicht werden, möglicherweise auch direkt in die Wand hineingehauen oder auf sie gemalt, dann muß das Fridericianum im Innern so roh, so vorläufig und so veränderbar wie möglich bleiben.

Und wenn die eine Hälfte des Gebäudes zwischen den documenten als technisches Museum genutzt wird, dann müßte allerdings gewährleistet sein, daß alle drei Hauptgeschosse insgesamt einer documenta zur Verfügung stehen. Andernfalls wäre der Kompromiß von Anbeginn ein Argernis.

Die Zuversicht, daß der andere Teil des Fridericianums auch in der documentalosen Zeit sinnvoll genutzt werden kann, wächst: Einmal haben die Staatlichen Kunstsammlungen ein Interesse an Ausstellungen aus eigenem Bestand und an gelegentlichen Großprojekten. Zum anderen zeichnet sich ab, daß hier Ausstellungen eine Heimat finden, in denen qualifizierte Kunststudenten,aus der Bundesrepublik und dem benachbarten Aüsland ihre Arbeitsergebnisse präsentieren. Kassel könnte mithin auch zu einem Ort junger Kunst werden.

18. 9. 1982

Schreibe einen Kommentar