Poker um das Fridericianum

Suche nach neuen Lösungen für documenta und Museum — Kündigt sich ein Sinneswandel an?

Gibt es Auswege aus dem Streit um die Nutzung des Museums Fridericianum? Von verantwortlicher Seite erhält man derzeit auf diese Frage keine oder nur karge Antworten. Das ist nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen, denn Grund für die Wortkargheit ist, daß die Stadt, das Land und die Staatlichen Kunstsammlungen getrennt und gemeinsam nach Auswegen suchen. Der Grad der Übereinstimmung ist noch nicht sehr groß. Auch deshalb nicht, weil viele denkbare technisch lösbare Vorschläge in diesen Zeiten nicht finanzierbar sind. Immerhin scheint sich aber die Meinung allmählich durchzusetzen daß der 1979 geschlossene Nutzungskompromiß, der auf eine Teilung des Fridericianums in ein technisches Museum und eine Kunsthalle abzielt, kein Geniestreich war.
In einem Punkt hat dieser Sinneswandel denn auch mittlerweile Folgen gezeitigt: Die Beteiligten sind sich darin einig geworden, daß das aus dem Astronomisch-Physikalischen Kabinett erwachsende technische Museum nicht auch mit Großgeräten wie Lokomotive, Lastwagen und Flugzeug in das Kellergeschoß des Fridericianums einziehen sollte. Womit nicht bestritten wird, daß Fieseler Storch und Henschel-Lok keine Museumsreife hätten. Sie sollen lediglich in sinnvolleren räumlichen Zusammenhängen (Halle K 18 im früheren Henschel-Areal?) präsentiert werden; allerdings dürfte dies nicht ohne die Einbeziehung anderer technischer Entwicklungen aus Kassel (etwa der Panzer) geschehen. Es wäre sicher verfrüht, diese Ubereinkunft als ein Signal dafür zu werten, daß damit schon der ganze Kompromiß hinfällig sei.
Immerhin wird darüber gesprochen bzw. darum gepokert. Die Seite aber, die versuchen sollte, den Kompromiß auf jeden Fall als Arbeitsbasis für die documenta und das technische Museum beizubehalten, müßte sich zuerst mit Hilfe eines Gutachtens die Gewißheit verschaffen, ob die Konsequenzen überhaupt tragbar wären. In diesem Fall ist gar nicht an die documenta zu denken, die mit einem Torso des Fridericianums auskommen müßte, sondern an die Verabredung, daß al1e vier Jahre etwa 60 Prozent des technischen Museums für ein Jahr zugunsten der documenta aus dem Fridericianum geschafft werden müßten. Wäre das (von den Kosten abgesehen) in konservatorischer Hinsicht vertretbar? Oder könnte es nicht passieren, daß vor oder nach dem ersten Auszug Konservatoren und Restauratoren dringend davor warnen, eine Sammlung dieser Art als mobiles Museum zu halten? Dann hätte die documenta gar nichts mehr zu melden.
Es wäre logisch, das technische Museum nur in einem solchen Rahmen auszubauen, der fest und dauerhaft ist. Denn die historischen Instrumente verlangen nicht nur sorgfältige Sicherung, sondern manches bedarf auch der (arbeits- und kostenaufwendigen) Installation. Andererseits muß unbedingt zur Kenntnis genommen werden, daß eine documenta, die nur über ein bruchstückhaftes Fridericianum verfügen kann, ihren Standortwert und innere Rechtfertigung verloren hat.
Die Frage lautet vor allem: Wie kann eine für beide Seiten befriedigende Lösung in die Gesamtkonzeption für die Kasseler Museums- und Ausstellungshäuser eingebunden werden? Bieten K 18, Orangerie, Landesmuseum oder Neue Galerie hier. möglicherweise Entlastung? Die Verwirklichung. des Kompromisses brächte nicht nur die documenta in Gefahr, sondern wäre Nährboden für einen Dauerkonflikt.
Die Karten der Stadt, die die neuerliche Nutzungs-Diskussion engagiert aufgegriffen hat, waren deshalb lange Zeit so schlecht, weil sie aus Finanznot kein Programm für die Bespielung des Fridericinums zwischen den documenteri vorlegen konnte. Nun zeigt sich aber, daß sehr wohl einiges in das Haus zu holen ist. Das Theater drängt mit der Studio-Bühne hinein, für den Herbst kündigt sich die große deutsch-französisch-britische Kunststudenten-Ausstellung an, und auch für das nächste Jahr gibt es schon Vorhaben. Außerdem könnten auch leicht bewegliche Sammlungsteile der Staatlichen Kunstsammlungen für zwei, drei Jahre Abschnitte des Gebäudes nutzen.
Das Fridericianum müßte kein leeres Gebäude bleiben, sondern könnte sogar sehr vielseitig und lebendig genutzt werden. Voraussetzung allerdings wäre, daß sich alle Interessierten (Stadt, Land, documenta, Kunstsammlungen, Theater, Kunstverein…) in einer gemeinsamen Trägergesellschaft über die Regulierung der Verwaltungskosten einigten und einen Spielplan entwickelten.

HNA4. 5. 1983

Schreibe einen Kommentar