Schönheit des Zerbrechlichen

Porzellan aus China und Japan im Fridericianum

Über viele Jahrhunderte war es ein Privileg der Fürsten und reichen Bürger, von Porzellan zu speisen. Selbst nachdem es dem Deutschen Johann Friedrich Böttger 1709 in Dresden gelungen war, das Geheimnis der chinesischen Erfindung zu lüften und eine mitteleuropäische Porzellan-Tradition zu begründen, blieb das weiße durchscheinende Material mit seinen zum Teil üppigen Bemalungen kostbar und den wohlhabenden Ständen vorbehalten. Porzellan – das fürstliche Geschirr.

Indem sich bei vielen deutschen Fürsten des 17. und 18. Jahrhunderts Darstellungssucht und Kunstsinnigkeit aufs innigste verbanden, wurden sie zu den großen Förderern und Sammlern der Kunst und anderer Schätze aus aller Welt. Die begehrten chinesischen und japanischen Porzellane wurden dabei vornehmlich auch als Zierstücke angeschafft und aufgestellt. Die Schönheit des Zerbrechlichen war vornehmlich für das Auge gedacht.

In jener Zeit entstanden in den Schlössern sogenannte Porzellangalerien und -kabinette, Säle, in denen an den Wänden
auf Konsolen bis hoch unter die Decke die Kostbarkeiten aufgereiht wurden. Die Wirkung der üppig bemalten Vasen und Schalen wurde häufig durch ein ebenso üppiges Wanddekor und außerdem eingebaute Spiegel verstärkt.

Viele dieser Galerien wurden zerstört oder aufgelöst. Ein schönes, in seiner Einrichtung noch ursprüngliches Beispiel eines Porzellankabinetts kann man heute in Kassels Partnerstadt Arnstadt, im dortigen Schloßmuseum, erleben. Hier wird der Zauber greifbar, den einst das ostasiatische Porzellan auf die deutschen Fürsten ausübte. Ein vergleichbares Kabinett im Schloß Friedenstein von Gotha wird derzeit restauriert.

Auch in Kassel war im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine Porzellangalerie entstanden. Sie war nicht nur ein Beweis für die Liebe zu dem zerbrechlichen Material, sondern auch ein Ausdruck der damals heftigen Ostasienbegeisterung. Allenthalben wurden im Stil der ostasiatischen Architektur Bauten geplant und realisiert. Noch heute findet man im Park Kassel-Wilhelmshöhe einzelne Zeugen dieser Lust an Fernost.

Im 19. Jahrhundert allerdings verfiel diese Begeisterung. Die Porzellan-Sammlung der Landgrafen von Kassel, die nach der von August dem Starken als eine der bedeutendsten gilt, geriet in Vergessenheit, wurde magaziniert und auseinandergerissen. Heute sind die erhaltenen Bestände auf zahlreiche Museen und Schlösser verteilt.

Rund 100 Jahre nachdem die preußische Regierung eine Katalogisierung der erhaltenen Bestände angeregt hatte, ist nun endlich die Bestandsaufnahme erfolgt: Die Staatlichen Kunstsammlungen haben einen repräsentativen Katalog (588 S., 58 DM in der Ausstellung) vorgelegt, der auch die Geschichte der Porzellansammlungen in Deutschland aufarbeitet. Zugleich wurde der größte Teil der Objekte, die einst in der Porzellangalerie zu sehen waren, in einer Schau im Museum Fridericianum in Kassel zusammengeführt.

Natürlich läßt sich in einem Haus, das auf moderne Ausstellungsbedürfnisse ausgelegt wurde, nicht die Atmosphäre einer barocken Porzellangalerie schaffen. Die Organisatoren versuchten allerdings, diesem Urbild nahezukommen, indem sie nur einen Teil der Schätze in Vitrinen verbannten. Die meisten großen Gefäße wurden auf Podesten frei aufgestellt. Außerdem wurde immer wieder eine Annäherung an die Porzellankabinette angestrebt: Vor allem Teller und Schalen wurden an schräg an die Wände gelehnten grauen Brettern übereinander befestigt. Das barocke Bild ist nicht rückholbar, aber der Geist wird wieder beschworen.

Die Ausstellung bemüht sich ferner, in Inszenierungs-Andeutungen die Herstellung des Porzellans und den Transport des ostasiatischen Gutes nach Europa zu verbildlichen. Die Objekte selbst sind klar gruppiert, damit räumliche, zeitliche und stilistische Zusammenhänge deutlich werden. Die ganze Pracht chinesischer und japanischer Kunst wird hier offenbar; wobei wir heute mehr über das uns vertraute Material und die bekannten Formen hinwegsehen und uns auf die hinreißende Porzellanmalerei konzentrieren. Ob nun die Gefäße mit Kobaltblau auf Weiß leuchten oder ob Rot und Gold oder Rosa dominieren – immer wieder kann man sich:
in der Vielfalt der dekorativen und erzählenden Bilder verlieren. Die hier gezeigten europäischen Nachahmungen bleiben in ihrer Bildkraft deutlich dahinter zurück.

Die Ausstellung ist für die Region ein kulturgeschichtliches Ereignis. Es wird in seinem Rang dadurch erhöht, daß parallel zur Porzellan-Schau im Museum Fridericianum Japanische Holzschnitte aus dem 17. bis 19. Jahrhundert (Katalog 240 S., 30 DM) aus der Sammlung Winzinger gezeigt werden. Die beiden Ausstellungen verbindet nicht bloß der gleiche kulturelle Pulsschlag. Die Holzschnitte, obwohl in völlig anderen Zusammenhängen gestaltet, erscheinen wie Ausschnittvergrößerungen der kleinteiligen Malerei. Die menschlichen Figuren treten ausdrucksstark hervor.
Jedes einzelne Bild fasziniert. Die Feinheit der Zeichnung und die höchste Kraft des Ausdrucks bei der Komposition der Figuren verbinden sich zu spannungsreichen Bildern. Eine großartige Schau.

HNA 6. 7.1990

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