Mythologie und Rationalismus

…oder Das Malen wider besseren Wissens

Zur Ausstellung von Pitt Moog

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Auch wenn die Wirklichkeit oft anders aussieht, so sind wir doch alle Kinder der Aufklärung. Wir sind um die Erweiterung des Wissens bemüht und versuchen, möglichst alles mit den Mitteln der Vernunft zu erklären und zu verstehen. Wir leben im Zeitalter des Rationalismus, in dem der Glaube an die Erkenntniskraft durch die Vernunft oft größer ist als jeder andere Glaube.
Gleichzeitig suchen wir das Ursprüngliche und Unerklärliche, jene kindliche Vorstellungswelt, in der ungefragt und ungeprüft an Wundersames geglaubt werden kann und in der die Grenzen zwischen dem Wirklichen und Fantastischen verschwinden. Viele finden das in der Religiosität und Spiritualität, andere brauchen dazu den Rausch.

Daneben gibt es noch einen völlig anderen Weg. Auf ihm bewegen sich Künstler wie Pitt Moog. Natürlich sind auch sie unter den Bedingungen des Rationalismus ausgebildet worden. Pitt Moog hat vor 50 Jahren bei Arnold Bode und Fritz Winter Malerei studiert. Er hat gelernt, wie man Bilder von der Grundierung her aufbaut, wie man Farben mischt und schichtweise aufträgt, wie man Figuren und Räume auf der Fläche entstehen lässt und wie man abstrahiert.

In seinem Studium wurde Moog in den damals schwelenden Konflikt hineingezogen, der viele Künstler vor die Alternative stellte, im Sinne der Tradition gegenständlich zu malen oder sich auf die gegenstandlose, selbstbestimmte Kunst zu verlegen. Aber auch innerhalb der abstrakten Kunst gab es zwei Schulen. Die eine setzte auf das rationale Prinzip, die Konstruktion, die andere ließ in der Nachfolge des Expressionismus die spontane, gefühlsgesteuerte Malerei zu.

Moog ließ sich von dem Konflikt nicht zerreiben und widersetzte sich mit Erfolg der Erwartung, sich für das Figürliche oder das Abstrakte zu entscheiden. In seiner Malerei hat er, wenn Sie so wollen, den Konflikt zu seinem Thema gemacht. Die Spannung und der Reiz vieler seiner Arbeiten liegen genau darin, dass sie den Raum dazwischen besetzen und mit Leben erfüllen. Figuren werden greifbar, doch unter und zwischen ihnen öffnen sich gewaltige Tiefen, die nach eigenen, unergründlichen Gesetzen gestaltet sind.

Die wichtigste Erfahrungen für den damals jungen Künstler war, dass die Kunst des 20. Jahrhunderts, die an die logischen Grenzen ihrer Entwicklung gestoßen war, einen neuen Quell der Erneuerung entdeckt hatte: Es war die Annäherung an die so genannte primitive Kunst Afrikas und der Südsee, an die Ausdruckskraft der archaischen Kulturen. Aus diesen Bildern und Skulpturen schien etwas Ursprüngliches und Kindliches auf. Über die zeitlos gültigen Formen gelangte man hinter die Aufklärung zurück, deren Erkenntnisse man allerdings in sich trug. Aber es waren nicht nur die archaischen Formen, die so stark faszinierten. Man näherte sich damit einer von Mythen geprägten Vorstellungswelt, in der die Intuition einen fruchtbaren Boden fand. So schien es möglich, im Rückbezug auf die Archaik die Sprache der Kunst zu erweitern.

Trotzdem wären diese Ansätze und Bemühungen nicht viel wert, wenn nicht noch ein anderes Element hinzukäme. So nämlich, wie ich Ihnen die Entwicklung geschildert habe, klingt alles plan- und vernunftmäßig. Da gibt es Einsichten, die angewandt und umgesetzt werden. Würde sich die dem so genannten Primitiven zugewandte Kunst darin erschöpfen, wären die archaischen Formen und mythischen Vorstellungswelten nur Hilfsmittel einer rational gesteuerten Kunst. Dieser Kunst würde das Entscheidende fehlen, kämen nicht jene rücksichtslose Hingabe und Besessenheit hinzu, die den Künstler antreiben und sein Wesen ausmachen. Natürlich hat Pitt Moog immer den Kontakt mit der Öffentlichkeit gesucht, hat – wie auch hier – für Ausstellungen gemalt. Doch fragt man ihn nach seinem Antrieb oder danach, seit wann und warum er so male, dann kann er selbst kaum mit Erklärungen weiterhelfen, denn das meiste ist intuitiv geschehen, hat sich selbst aufgedrängt und durchgesetzt. Moog hat, wie er sagt, „nur gemalt, um mich zu klären“. Aber das wusste er selbst auch lange nicht.

Über die Jahre sind diese Bemühungen, sich selbst zu überlisten, stärker geworden. Erstaunlich für mich dabei ist, dass die Bilder von Moog, die ursprünglich von dunklen Braun-, Schwarz- und Rottönen beherrscht waren, heller wurden. Einige jüngst entstandenen Rollbilder gar erscheinen zeichenhaft, weil die Tiere und Figuren auf das blanke Weiß gemalt wurden. Ebenso erstaunlich ist, von welchem Aufbruchsgeist Moog erfasst ist. Mehrere der Großformate in dieser Ausstellung sind erst in den letzten Wochen entstanden.

Schon vor 40 Jahren hatte Moog das Glück, die Stätten der antiken Mythen und alten Kulturen kennen zu lernen. Es kamen dann die Begegnungen mit den Felsbildern und Höhlenmalereien hinzu, die uns nicht nur deshalb verzaubern, weil in ihnen Vorzeit und Moderne zusammen zu fallen scheinen, sondern weil sie den Blick auf eine Welt eröffnen, in der für die Menschen ein Einklang mit dem Kosmos möglich schien. Das Bild als Zugang zum metaphysischen Bereich, die Auseinandersetzung mit den Energien und Triebkräften der Erde, das Geheimnis der Chiffren und Kristalle und die Überwindung der Gefährdungen der Natur – all das sieht Moog in den Bildern aus der geschichtlichen Vorzeit gespiegelt und all das hilft ihm, das eigene Leben malend zu klären.

Pitt Moog ist kein nostalgischer Künstler. Er ist nicht wie seinerzeit Gauguin von der Sehnsucht nach einem Paradies getrieben, das es nicht mehr gibt, vielleicht auch nie gab. Er versucht auch nicht, in die Rolle jener vorgeschichtlichen Höhlenmalerei zu schlüpfen, die uns immer noch in den Bann schlagen. Nein, er ist ein zeitgenössischer Künstler, der sehr wohl weiß, dass die moderne Kunst an ihre Grenzen gekommen ist und dass der illusionäre Bildraum In Frage gestellt und zerstört worden ist. Schaut man genau hin, dann sieht man, dass viele seiner Gemälde auf Leinwand und Papier Collagen sind, aus Bruchstücken zusammengesetzt sind. Aus den Bestandteilen und Resten unserer Welt schafft er eine neue Ordnung und Harmonie. Es ist allerdings eine Ordnung, die sich jeder Logik und Rationalität entzieht.

Moog verlässt sich auf seine Intuition, auf die gefühlsmäßige Annäherung an die Zeit, in der die ersten Bilder entstanden und in der die Bilder selbst Zeichen für Energie und Magie waren. Ohne seine Kunstfertigkeit käme er nicht weiter. Aber er lässt sie bewusst hinter sich und malt wider besseres Wissen, um dem Ursprünglichen und Mythischen näher zu kommen und um die Welt und sich selbst besser zu verstehen. Das Rationale lässt sich auch in der künstlerischen Kreativität nicht ausschalten. Aber es kann zurückgedrängt werden, damit schöpferische Kräfte frei werden, die wir nicht unter Kontrolle halten.

Nun werden wir heute Abend Zeugen des Versuchs, einen ganz anderen Weg zu erschließen. Der abendländisch-europäische Maler Moog, der unter den Bedingungen des Rationalismus ausgebildet worden ist und an sie auch dann gebunden blieb, wenn er sich von den Fesseln befreien wollte, arbeitet gemeinsam mit dem Medizinmann der Schwarzfuß-Indianer Devalon James Small Legs an einem Bild. Devalon ist kein Künstler und doch ein Maler. Er wurde nicht geschult, sondern ihm wurde das Recht übertragen, seine Visionen, die er aus der Geschichte seines Stammes und der Kultur der Indianer bezieht, auf Büffelhaut zu malen.

Wir sind geneigt, uns an den formalen Übereinstimmungen in dieser Partnerschaft festzuhalten: Die Motive, die Moog aus der Tiefe der Geschichte holt, sind auf faszinierende Weise mit den Zeichen und Figuren verwandt, die zur Tradition der in Kanada lebenden Schwarzfuß-Indianer gehören. Es ist, als würden in der Kultur der Indianer vorgeschichtliche Zeit und Gegenwart zusammenfallen.

Uns aber interessiert stärker ein anderer Aspekt: Wie verhalten sich die Bildteile zueinander, die Moog und Devalon parallel schaffen? Was trennt und was verbindet die beiden Formen der Malerei – die eine, die durch die Aufklärung gegangen ist, und die andere, die im Dienst einer immer noch wirksamen Magie steht? Springt der magische Funke über, verändert sich das Wesen des Bildes?

Vielleicht können wir es nicht sehen und nicht erklären, vielleicht können wir es aber fühlen.

Brilon, 2003

Schreibe einen Kommentar