Aufklärung als Mittel der Macht

Am Samstag wird im Kasseler Fridericianum die Ausstellung „Katharina die Große“ eröffnet. Wer war diese Frau, die 1729 bis 1796 lebte?

Zwar hat sich Kassels Oberbürgermeister Lewandowski erst vorigen Sonntag wieder dafür stark gemacht, das Museum Fridericianum als Kunsthalle für zeitgenössische Kunst zu führen, doch geht der Kampf um das Haus munter weiter. Selbst im Vorwort zum Katalog der am Samstag, 13. Dezember, 17 Uhr, beginnenden Katharina-Ausstellung hinterläßt der Streit Spuren. Mit Vehemenz tritt Museumsdirektor Hans Ottomeyer dafür ein, einmal im Jahr im Fridericianum eine kulturhistorische Ausstellung zeigen zu können.

Und wenn er an den Bildungsauftrag erinnert, dem das Museum Fridericianum verpflichtet sei, dann hat er Recht, denn der klassizistische Bau war 1779 im Auftrag des hessischen Landgrafen Friedrich II. fertig gestellt worden, um die Sammlungen der Öffentliehkeit zugänglich zu machen. Insofern ist das Fridericianum ein angemessener Ort, um das Leben und Wirken der deutschrussischen Zarin Katharina II. zu spiegeln: Der Bau entstand exakt in der Zeit, in der Katharina II. regierte (1762 – 1796), und er dokumentiert genau das Bewußtsein, aus dem heraus die Zarin ihr Land beherrschte und internationale Politik betrieb. Sie war dem Geist der Aufklärung verpflichtet, verstand aber die aufklärerischen Projekte (Bildung, Staatsreform, Kulturförderung) als Mittel der Macht(vervollkommnung).

Das Bürgertum späterer Generationen hat gerne die Aufklärung als ein Instrument der Demokratisierung verstanden. In Wahrheit wurde die Aufklärung aber vielfach von oben verordnet und zur Stabilisierung von Herrschaft eingesetzt. In seinem Katalogbeitrag legt Claus Scharf eindringlich dar, daß sich die absolutistisch regierende Katharina II. durch Voltaire bestärkt fühlen konnte, wenn sie sich in ihrer Machtfülle als Speerspitze der Vernunftbewegung sah.

Bei der Beschäftigung mit dieser Persönlichkeit darf man nicht vergessen, daß historische Quellen erst jetzt allmählich freigelegt werden. Solange das
Zarenregime bestand, war die historisch-kritische Forschung nicht frei; und nach der Oktoberrevolution war das Interesse an der Herrscherin gering. Erst mit der politischen Wende um 1990 wurde der Zugang zur Zarengeschichte neu entdeckt. Und so ist es kein Wunder, daß im Sommer, als in Moskau anläßlich des Stadtjubiläums die Ausstellung „Katharina die Große und Moskau“ zu sehen war, das aus Kassel kommende Team, das die Ausstellung übernehmen wollte, im Historischen Museum und an anderen Stätten noch zusätzliches Material fand. In Moskau wie in Kassel machten die Unternehmen Wintershall und Gazprom als Partner die Ausstellungen erst möglich.

Katharinas Biographie hätte ein Dichter nicht besser erfinden können: 1729 als Sophie Auguste Friederike Prinzessin von Anhalt-Zerbst in Stettin geboren, wurde sie 1745 mit dem späteren Zaren Peter III. verheiratet, Systematisch bereitete sie sich auf ihre neue Rolle vor – trat zum orthodoxen Glauben über, nahm den Namen Katharina an und erlernte die russische Sprache:

„Ich wollte Russin sein, um von den Russen geliebt zu werden.“ Sie machte ihre Sache so perfekt, daß sie bald nach dem Amtsantritt ihres Mannes (1762) Verbündete fand, um ihn zu stürzen und die Macht an sich zu reißen. Die Zarin Katharina beherrschte vor allem eins – sich öffentlich so darzustellen, daß sie bald als die Große erschien. Sie trieb die Europäisierung ihres Landes voran, hatte auch Glück im Spiel der Mächte, doch das Porträt, das sie von sich entstehen ließ, war zuweilen von der gleichen theatralischen Qualität wie die harmonischen Rußland-Bilder, die ihr zeitweiliger Geliebter Potjomkin für sie zauberte.

HNA 12. 12. 1997

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