Europäischer Glanz am Zarenhof

Die Kasseler Ausstellung „Katharina die Große“, die heute um 17 Uhr im Fridericianum eröffnet wird, dokumentiert die
Machtfülle und die westeuropäisch geprägte Kultur am Zarenhof.

Das deutsch-russische Verhältnis ist zwiespältig und war aufgrund deutscher Expansionspolitik in diesem Jahrhundert aufs Tiefste gestört. Vor diesem Hintergrund erscheint die Zarin Katharina II., die von 1762 bis 1796 regierte und die schnell den Beinamen „die Große“ erhielt, wie eine Lichtgestalt, weil sie in sich die Gegensätze aufhob.

Sie kam als deutsche Prinzessin nach Rußland und erlernte dort systematisch ihre neue nationale Identität, um die Herzen der Menschen und die Macht zu erobern. Als sie ihr Ziel erreicht hatte, ihren Mann Zar Peter III. gestürzt und sich selbst auf den Thron gesetzt hatte, wurde sie zur Mittlerin zwischen russischer und (west-)europäischer Tradition: Sie pflegte nicht nur Briefwechsel mit dem Aufklärer Voltaire, sie holte auch westliche Handwerker und Architekten nach Rußland und setzte mit Hilfe kunsthandwerklicher Zeugnisse den europäischen Geschmack in ihrem Lande durch.

Die Ausstellung „Katharina die Große“ brachten die Staatlichen Museen in einer Gemeinschaftsaktion mit den Firmen Wintershall und Gazprom nach Kassel. Den Grundstock für die Ausstellung hatte im Sommer die Tretjakow-Galerie in Moskau anläßlich des Stadtjubiläums gelegt. Die Moskauer Schau befriedigte ganz direkte lokale Sehnsüchte: Durch Zar Peter den Großen hatte Moskau seine Hauptstadt-Funktion zeitweise an St. Petersburg verloren. In Petersburg hatte Katharina vornehmlich residiert und von dort aus war kürzlich die erste große Katharina-Ausstellung auf internationale Reisen gegangen.

Jetzt also wollte die neue alte Hauptstadt beweisen, daß sie ebenso gut aus eigenen Kräften Katharina die Große würdigen könne. Schließlich wurde die Zarin in Moskau gekrönt und förderte die Neugestaltung der Stadt. Nicht nur im Kreml-Museum finden sich Spuren ihrer Regierungszeit, sondern ganze Straßenzüge, viele Archive und Depots sind voller Zeugnisse aus dieser Blütezeit.

Die Kasseler Ausstellung baut auf der Moskauer Schau auf, hat diese aber erheblich thematisch erweitert. Die Rivalität zwischen Moskau und Petersburg konnte vernachlässigt werden, dafür geriet die Leistung der Zarin auch kritisch in den Blick. Beispielsweise ist eine kleine Abteilung mit bissigen englischen und französischen Karikaturen hinzugekommen, in denen Katharina II. als männerverschlingendes Weib (wegen ihrer vielen Liebhaber), als Despotin und kampfeslustige Amazone dargestellt wird.

Auch wird in dem gut gegliederten Katalog (384 5., 40 Mark) ebenso wie in der Ausstellung der Widerspruch ihrer Innenpolitik herausgearbeitet:
Sie strebte zeitweise zwar eine verfassungsmäßige Ordnung an und setzte auf Bildung und soziale Fürsorge, änderte aber nichts an dem Zustand, daß drei Viertel des Volkes Leibeigene blieben; einen Aufstand der Leibeigenen und Kosaken schlug sie 1774 blutig nieder. Es gab nur ein Nadelöhr, durch das Menschen der Leibeigenschaft entrinnen konnten: Wenn sie als Findelkinder in das von Katharina persönlich geförderte Moskauer Findelhaus eingeliefert wurden. Dann konnten sie praktisch-technisch und künstlerisch-wissenschaftlich zu freien, sozusagen neuen Menschen erzogen werden.

Die in zehn Abteilungen aufgeteilte Ausstellung ist äußerst dicht gestellt und gehängt. Rund 600 Objekte sind im ersten Obergeschoß des Museums Fridericianum zu bewundern. Dabei werden die unterschiedlichsten Interessen bedient: Da sind einmal die Gemälde und Porträts, die die Zarenfamilie und deren Umfeld vorstellen. Dann gibt es Vitrinen mit den üppigsten Gedecken und kunsthandwerklichen Schönheiten zu bewundern. Daneben kann man sich gefangen nehmen lassen von den zahlreichen Schriften und Theaterstücken, die Katharina selbst verfaßt hat. Und schließlich wird an Hand großer Pläne und Modelle illustriert, wie unter Katharina die Stadtplanung vorangetrieben wurde. Vieles wird in dieser Ausstellung erstmals öffentlich gezeigt – wie der Schlitten, den die Zarin anläßlich der Krönungsfeierlichkeiten benutzte.

Knappe Wandtafeln stellen die thematischen Zusammenhänge her. Trotz der Fülle können sich die Besucher gut orientieren. Dabei sollte man zwei Rundgänge planen – den einen, um der deutsch-russischen Zarin auf die Spur zu kommen, und den anderen, um in Ruhe die kunsthandwerklichen Glanzstücke und Zeugnisse einer geistig-vitalen und am Ende doch nicht konsequent aufklärerischen Kultur zu studieren.

HNA 13. 12. 1997

Schreibe einen Kommentar