Die reine Fläche?

Malerei ist die Auseinandersetzung mit Farbe und Form. Und seit die Künstler in diesem Jahrhundert vermehrt die illusionäre Raumwirkung aufgehoben und zerstört haben, um die Malerei als das erscheinen zu lassen, was sie ist, als die Gestaltung einer Fläche, scheint alles ausformuliert und gesagt worden zu sein. Müssen die Maler, die sich heute den Prinzipien von Abstraktion und Konstruktion verpflichten, nicht zwangsläufig wiederholen, was schon andere geschaffen haben?

Der aus Hamburg stammende und in Köln lebende Maler Günter Tuzina tritt den Gegenbeweis an. Ihm ist es gelungen, einen ganzen Bilderkosmos in die Welt zu setzen. Dabei wirkt sein Arbeitsansatz im ersten Moment ganz banal: Durch Übermalungen gliedert er Grundflächen in waagerecht oder senkrecht gegliederte Farbfelder. Auf diese Flächen setzt er meist schwarze, leicht verzogene Rechtecke, die von einer Diagonale durchschnitten werden. Mal liegt diese geometrische Figur wie eine Umrißzeichnung auf dem Farbgrund, dann wieder füllen sich die Rechteckfelder mit korrespondierenden Farben auf.

Das ständige Kreisen um dieses Grundprinzip läßt eine Vielzahl von immer neuen Variationen entstehen. Doch darin erschöpft sich Tuzinas Werk nicht: In seinen Bildern wird das Wechselverhältnis von Form und Farbe andauernd neu beantwortet – mal scheinen beide nichts miteinander zu tun zu haben, mal wirken sie gegeneinander, und dann wieder sieht es so aus, als würden die beiden Elemente gemeinsam die Fläche zum Raum erweitern. Das sparsame Vokabular erweist sich als ein Schatz, die reine Fläche ist nur der Ausgangspunkt.

Die serielle Arbeitsweise von Tuzina wirkt :streng rational: Malerei aus dem Kopf, nach dem Zufallsprinzip den Veränderungen ausgesetzt. Dieser Eindruck aber täuscht, wie einige erstaunliche Bildtitel verraten (,‚Das Staunen‘, „Bruder“, „Engelsflügel“). In den Bildern steckt also mehr als Kalkül, sie spiegeln Stimmungen, schließen sich an Traditionen an.

Das Museum Fridericianum in Kassel stellt Tuzinas Werk in einer breit angelegten Ausstellung vor, die zuvor in Zürich zu sehen war. Für den ersten Raum hat der Künstler auch eine Wandarbeit entwickelt, die seine sonst eher kleinformatigen Bilder in eine große Dimension überträgt: Auf einer langgestreckten grünen Wand schweben zwei Rechteckformen, die farbig aufgefüllt sind. Die Fornien gewinnen Eigenleben, profilieren sich und deuten die Tiefen des Raumes an. Grün, Rot und Blau bauen Farbspannungen auf, dennoch triumphiert die Form. So viel und intensiv Tuzina auch malt – die ebenfalls gemalte, aber eher grafisch wirkende Linienstruktur schwebt wie ein Geist über der Farbe. Nur dort, wo die Form ganz mit Farbe zugemalt wird, begibt sie sich ins Bild hinein.

Günter Tuzinas Werk steckt voller Überraschungen. Wenn man aber seine stählernen Bodenstücke sieht, dann wird endgültig klar, daß in ihm der Maler und der Zeichner äußerst fruchtbar miteinander streiten.

HNA 26. 1, 1991

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