Eine herausfordernde und heitere Ausstellung im Kasseler Fridericianum: Tobias Rehberger (Jahrgang 1966) präsentiert seine Arbeiten.
Hans Hohem hatte 1987 zur documenta 8 ein verdrehtes Museum vorgestellt. Darin hatten die Schildchen, auf denen die Künstlernamen und Bildertitel zu finden sind, die Größe von Gemälden erlangt, während die dazu gehörigen Bilder zu kleinen Schildern geschrumpft waren. Das war ein didaktisches Lehrstück über unseren Umgang mit Museumskunst.
Tobias Rehberger zielt in eine ähnliche Richtung, hat aber anderes im Sinn, wenn er in der Rotunde des Kasseler Museums Fridericianum Bänke, Stühle und Hocker aufstellt, denen an der Wand Künstlernamen wie Pablo Picasso, Josef Albers, Jackson Pollock oder Jean Arp zugeordnet sind. Diese Installation ist eine Verbeugung vor der documenta, die in diesem Jahr die 40 vollendet:
Diese Stühle und Bänke standen in den Ausstellungsräumen der ersten documenten; sie sind als Zeugen der großen Kunstschau geblieben; über sie läßt sich die Hängung der Bilder rekonstruieren. Doch es waren nicht exakt diese Möbel, denn Rehberger hat sie zu Stühlen und Sitzbänken für Kinder verkleinert. Auf diese Weise schiebt sich eine zweite Bedeutungsebene hinein: Die Vergangenheit der ersten documenten ist so weit entfernt, daß die Erinnerung daran für viele heutige Ausstellungsbesucher in die Kindheit zurückführt. Aber auch dies trifft zu: Kindlich bewundernd blicken wir zu den Werken der großen Namen empor. Die Möbel markieren unsere Betrachterperspektive.
In seiner Eröffnungsrede hatte Kasper König darauf verwiesen, daß die Selbstbefreiung die Kunst in die Isolation geführt habe. Kunst beschäftigt sich weithin mit Kunst und dreht sich also im Kreise. Tobias Rehberger versucht, diesen Kreislauf aufzubrechen, indem er die Position des kreativen Künstlers aufgibt, um dann (doch) mit den Mitteln der Kunst subjektive Erfahrungen und Alltagseindrücke zu spiegeln. Mit Hilfe von Teppichböden und Möbeln im Stil der 70er Jahre markiert er Räume, die aber in der Ausstellungsarchitektur fremd bleiben und folglich zu Bildern werden. Dann wieder taucht er in die eigene Kindheit ein und holt beispielsweise aus ihr Bilder hervor, die sein Vater zeichnete, und vergrößert sie.
Während die großen Künstlernamen klein werden, blasen sich die privaten Bilder zu Kunstwerken auf. Das Original spielt dabei keine Rolle mehr. Rehbergers anscheinend radikale Absage an die Kunst fordert die Auseinandersetzung mit ihr auf einer neuen, komplexen und heiteren Ebene heraus. Wir scheinen – wie in der Rotunde, in der sechs Doppelbetten stehen – in einem exzentrischen Möbelhaus zu landen. In Wahrheit stehen wir vor Spiegeln, die uns entlarven und Neues über die Kunst erzählen.
HNA 27. 6. 1995