Aufstand gegen die Regeln

1959 – Robert Rauschenberg: Kickback

Die documenta, die wir heute als eine Weltausstellung der Kunst begreifen, war 1955 so gut wie eine rein europäische Veranstaltung gewesen. Das änderte sich vier Jahre später. Jetzt berücksichtigten die Verantwortlichen, dass neben Paris auch New York zu einem Kunstzentrum der Moderne geworden war. Insbesondere Jackson Pollock und seinem Action Painting wurde eine Schlüsselrolle zuerkannt. Allerdings wählte nicht der eingesetzte Ausschuss für Malerei, Skulptur und Druckgrafik die Künstler und Werke aus. Vielmehr erhielt Porter A. McCray, der im New Yorker Museum of Modern Art für das internationale Programm zuständig war, freie Hand für die Auswahl der Werke, die nach Kassel geschickt werden sollten. Immerhin entsprachen im überwiegenden Maße die Arbeiten den Vorstellungen von Werner Haftmann und Arnold Bode, die mit dieser documenta den Weg in die Abstraktion festigen wollten.

Ein Maler schien aber nicht ganz in dieses Konzept zu passen – der New Yorker Robert Rauschenberg (Jahrgang 1925). Seine Malerei erschien zwar auch abstrakt, doch bezog er in seine Bilder auch völlig andere Elemente ein. Aus der Werbewelt entnommene Schriftzüge drangen aus dem Untergrund an die Oberfläche und stellten Bezüge zu den Collagen und Materialbildern der Dada-Bewegung und von Kurt Schwitters her. Als Neo-Dadaist wurde Rauschenberg auch anfangs bezeichnet, bevor er als einer der Wegbereiter der Pop-Art erkannt wurde.

Ein Werk von Rauschenberg heftigen Widerspruch hervor – wahrscheinlich, weil es die Gegenposition zur stilistischen Ausrichtung der documenta II bezog. Das Bildobjekt „Bed“ (Bett) wurde von der Ausstellungsleitung abgelehnt und gar nicht erst ausgestellt. Es landete, wie es damals hieß, in der Besenkammer. Das war die erste Zurückweisung, der im Laufe der Jahre noch andere folgen sollten. Heute gehört das „Bed“ dem Museum of Modern Art in New York.

Rauschenberg nannte diese Bildobjekte „Combine-paintings“. Damit ordnete er sie der Malerei zu, betonte aber, dass er die Bilder mit anderen Materialien und Objekten kombinierte. In diesem Fall hatte Rauschenberg ganz konkret Laken, Bettdecke, Kopfkissen so auf Holz montiert, dass das Werk wie ein an der Wand aufgehängtes Bett wirkte. Der obere Teil des Kissens und der Decke waren schmierig bemalt. Die Malerei deutete Turbulenzen oder Gewalttaten an, ohne zu erkennen zu geben, was sich abgespielt haben könnte. Im Grunde stand hinter dem „Bed“ die Verweigerung der Malerei, der Verzicht auf die künstlerische Umsetzung. Rauschenberg ließ die Realität in drastischer Form selbst sprechen.

Nicht abgelehnt wurde hingegen Rauschenbergs Bild „Kickback“, das eine Brücke bildet zwischen der Kunst eines Kurt Schwitters und den „Combine-paintings“. Auch dieses Bild ist aus alltäglichen Materialien zusammengesetzt. Der am stärksten ins Auge springende Gegenstand ist in der Bildmitte eine Krawatte. Auch treten klar und deutlich Schriftzüge hervor, die als Wirklichkeitszitate eingefügt wurden. Trotzdem bleibt die malerische Komposition beherrschend. Das Bild erzeugt einen harmonischen Grundton.

Fünf Jahre später war Rauschenberg wiederum an der documenta beteiligt. 1964 zeigte er seine großformatige Bildcollage „Axle“, die zu einem der Schlüsselwerke der Pop-Art wurde. Aber Rauschenberg und andere Pop-Künstler wie Jasper Johns, Allen Jones und R. B. Kitaj blieben Außenseiter. Die documenta verpasste 1964 ihre Chance, den Auftritt der Pop-Art zu feiern. Sie musste das Versäumte weitere vier Jahre später nachholen: Erst die documenta 4 besiegelte den Triumphzug der Pop-Art, nachdem sich schon manche Sammler für diese Kunst entschieden hatten.

Aus: Meilensteine – documenta 1-12

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