Aus der Welt der Elemente

1987 Fabrizio Plessi: Roma

Der Apollosaal in der Orangerie war einer der eindrucksvollsten Ausstellungsräume der documenta. Seit 1992 ist in ihm das Planetarium des Astronomisch-Physikalischen Kabinetts eingebaut. 1987 erhielt der Italiener Fabrizio Plessi (Jahrgang 1940) als letzter Künstler die Möglichkeit, im Apollosaal eine künstlerische Arbeit zu präsentieren. Er nutzte die Chance auf eindrucksvolle Weise.

Fabrizio Plessi liebt die große Geste, das Pathos. Er arbeitet mit dem Elementaren, mit Wasser und Feuer, mit Holz, Stahl und Stein. Immer wieder verschafft er sich einen dramatischen Auftritt. Die Installation wird zur Bühne. So war es auch in Kassel. Man glaubte, in eine Theaterkulisse einzutreten. Der Apollosaal war weitgehend abgedunkelt und in rotes Licht getaucht. Obwohl es in dieser Arbeit mit dem Titel „Roma“ keinen direkten Hinweis auf Feuer gab, erweckte der rote Widerschein den Eindruck, als befinde man sich im Zentrum einer Industrieanlage, an einem Hochofen etwa.

In der Tat wurden die Besucher in die Arbeitswelt versetzt. An der Stirnwand ragte ein Förderband in eine der Fensternischen. Das Band schien Steinplatten zu transportieren. Solche Platten standen in unterschiedlichen Größen an die Wände gelehnt. Kleinere dieser Travertinplatten lehnten auch an dem offenen Rund aus Monitoren, deren Bildschirme nach oben ausgerichtet waren. Mit dieser Geste der locker aufgestellten, umgrenzenden Steinplatten nahm Plessi eine Idee auf, die fünf Jahre zuvor Mario Merz an seinem Spiraltisch realisiert hatte.

Auf den Monitoren sah man in fortlaufender und doch immer gleicher Bewegung klares fließendes Wasser. Lautsprecher übertrugen in den Raum die Fließ- und Gluckergeräusche. Wie der endlose Fluss des Wassers war auch der Kreislauf der Arbeit ohne Anfang und Ende. Das Wasser symbolisierte aber nicht nur das Element, aus dem sich die Kraft des Lebens speist, es repräsentierte auch die Kraft, mit der sich Steine bearbeiten und schneiden lassen.

Die Installation wies über die Arbeitswelt hinaus. Der feierlich inszenierte Saal und das offene Rund der Monitore zitierten die Formensprache der klassischen, der antiken Architektur. Die Erinnerungen an römische Brunnen wurden ebenso provoziert wie Gedanken an ein Forum. Die Bilder vom fließenden Wasser erzählten auch vom Fluss der Zeit, in der Rom erbaut und zerstört wurde und sich doch wieder behauptete.

Die Arbeit von Plessi war eine der großen Video-Skulpturen, die die documenta 8 prägten. Endgültig hatten sich die Video-Arbeiten emanzipiert und waren nicht länger auf Kassette aufgezeichnete Filme, die man zum Vorführen in irgendeinen Recorder einschob. Noch 1977 war die Video-Abteilung weitgehend eine Videothek gewesen, in der man sich auf Wunsch Filme zeigen ließ. Immerhin hatte es in dieser documenta 6 auch bereits größere Video-Installationen gegeben – den Video-Dschungel von Nam June Paik und die auf Kassel und den Herkules zugeschnittene Arbeit von Ulrike Rosenbach.

Nun aber, in der documenta 8, wurden die Besucher mehrfach mit monumentalen Video-Projekten konfrontiert, in denen Monitore ganze Bildwände projizierten und die Installationen skulpturale Gestalt annahmen. Wiederum faszinierten Rosenbach und der Video-Pionier Paik mit ihren Arbeiten, wobei die aus 50 Monitoren bestehende Video-Wand von Paik als eine Ehrung des ein Jahr zuvor gestorbenen Joseph Beuys angelegt war. Eine weitere monumentale Video-Skulptur hatte Marie-Jo Lafontaine beigetragen, in der es um Körperschönheit, Sexualität und Gewalt ging. In allen Fällen ergab sich der Charakter der Video-Skulptur erst aus der Summe der Bildschirme, aus der Gleichartigkeit oder Verschiedenheit der Bilder und aus der Form, in der die Monitore zusammengestellt und im Raum platziert waren.

Aus: Meilensteine – documenta 1-12

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