Die Kritik an der Gesellschaft

1987 – Hans Haacke

Hat Kunst eine gesellschaftliche Funktion? Diese Frage stellte sich nach der von Rudi Fuchs verantworteten documenta 7 dringlicher denn je. Schließlich hatte die Ausstellung des Jahres 1982 den Eindruck vermittelt, die Rückkehr zur wilden, expressiven Malerei habe alles andere unwichtig werden lasen.

Aber der Eindruck täuschte, denn auch unter der Leitung des Holländers Rudi Fuchs hatte die politisch-kritische Kunst ihren Platz gehabt. Eine der provokantesten Arbeiten war in der Orangerie zu sehen. Da zeigte der aus Köln stammende und in New York lebende Künstler Hans Haacke (Jahrgang 1936) unter dem Titel „Der Pralinenmeister“ eine Bilderserie, in der er sich mit der Unternehmenspolitik und Sammlertätigkeit des Aachener Schokoladenfabrikanten und Kunstmäzens Peter Ludwig auseinander setzte. Ludwig war dadurch in die Kritik geraten, dass er in der Stadt Köln als Gegenleistung zu seiner Schenkung einen Museumsneubau erpresst hatte und dass er in Osteuropa Firmengeschäfte und Museumsstiftungen miteinander verquickte.

Eine zweite Arbeit von Haacke (in der Neuen Galerie) war vor allem ironisch angelegt: Man sah ein nach einem Foto angefertigtes Ölgemälde des damaligen US-Präsidenten Reagen und darunter ein Messingschild mit der Aufschrift „Oelgemaelde – Hommage a Marcel Broodthaers“. Dahinter steckte das Spiel mit dem Personenkult ebenso wie die Auseinandersetzung mit Broodthaers, der den klassischen Kunstbegriff in Frage stellt hatte. Vor dem Bild lag ein roter Teppich und war der Zugang durch eine rote Kordel versperrt. Diese feierliche Inszenierung nahm nicht nur den politischen Personenkult aufs Korn, sondern auch den weihevollen Umgang mit der Kunst, den Haacke durch Rudi Fuchs wiederbelebt sah. Die Wirklichkeit aber kam auf der gegenüberliegenden Wand ins Spiel, auf der ein Großfoto von einer Friedensdemonstration in Bonn zu sehen war.

Rudi Fuchs und Manfred Schneckenburger hatten völlig unterschiedliche Vorstellungen von der Kunst und von dem, was in der documenta gezeigt werden sollte. Doch in der Wertschätzung für Haackes kritische Arbeiten waren sie sich einig. Ja, Schneckenburger räumte zur documenta 8 Hans Haacke in der Rotunde des Fridericianums den zentralen Platz ein. Das Wohltuende an den kritischen, scharf pointierten Arbeiten von Haacke ist, dass man die in ihnen eingebaute Sprengkraft nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennt.

Wiederum setzte der in New York lebende Künstler auf eine feierliche Inszenierung. Die Rotunde wirkte wie die Eingangshalle eines stolzen Unternehmens. Da standen ein paar hochstämmige Bäumchen in Blumentöpfen, da hingen Informationstafeln von der Decke. Im Zentrum aber war das zur Skulptur gewordene Logo der Deutschen Bank zu sehen, über der der Mercedes-Stern leuchtete. Durch diese simple Kombination zweier Firmensymbole war die Verquickung der beiden Großunternehmen dokumentiert. Beeinträchtigt wurde das feierliche Bild dadurch, dass ein Großfoto von der Beisetzung von Opfern der südafrikanischen Polizei im Logo der Deutschen Bank den Hintergrund lieferte.

Von dieser Bildkombination aus erschloss sich die Arbeit: Zu dieser Zeit herrschte in Südafrika noch die Apartheid-Politik, die dem Land die absolute Rassentrennung verordnete und die Schwarzen zu Menschen zweiter Klasse machte. Da ein Ende der Apartheid-Politik nicht abzusehen war, war international zum Wirtschaftsboykott des damals ausschließlich von Weißen regierten Landes aufgerufen worden. Aber führende deutsche Unternehmen wie Mercedes oder die Deutsche Bank kümmerten sich nicht um die Boykott-Aufrufe, sondern trieben weiter ihre Geschäfte mit dem Land. Die von der Decke hängenden Tafeln illustrierten mit ihren Texten und Bildern, wie die deutschen Firmen zur Stabilisierung des Landes beitrugen. An einem Ort, der weit entfernt von Afrika war und an dem zu der Zeit auch afrikanische Künstler keine Chancen hatten, zur documenta eingeladen zu werden, führte Haacke die beiden Unternehmen als Mitschuldige vor. Die Opfer, so wurde suggeriert, gingen mit auf das Konto der beiden Firmen.

Das erste Mal war Hans Haacke in der documenta 5 mit einer Besucherbefragung vertreten gewesen. Die war im Vergleich harmlos zu der Fotodokumentation aus New York, mit der Haacke in der documenta X vor Augen führte, wie innerhalb kurzer Zeit ein Spekulant ganze Häuserzeilen in seiner Hand vereinigte.

Aus: Meilensteine – documenta 1-12

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