Vorhang nicht gelüftet

Rudi Fuchs umschrieb sein Konzept für die Kasseler documenta 7

Die ungewöhnliche Ruhe, in der sich die inhaltlichen Vorarbeiten für die Kasleler documenta 7 (19. Juni bis 28. September 1982) vollziehen, sowie das Ausbleiben spektakulärer Proteste und Austritte aus dem Arbeitsteam, haben bei Experten schon erhebliche Unruhe ausgelöst. Da zudem der zum künstlerischen Leiter der documenta berufene Rudi Fuchs, Direktor des Van-Abbe-Museums in Eindhoven, bislang weder mit einem thematischen Programm noch einer Künstlerliste rausrückte, wuchs sich mancherorts die Unruhe zur Besorgnis aus.

Rudi Fuchs ließ sich durch den wachsenden Erwartungsdruck allerdings nicht aus dem Konzept bringen und legte auch gestern bei der großen Pressekonferenz im Kasseler Schloßhotel weder eine Künstlerliste noch ein Raumprogramm für die documenta 7 vor. Er will keine vorzeitige und möglicherweise voreilige Diskussion über Namen, weil diese an den speziellen Merkmalen und Qualitäten des einzelnen Kunstwerks vorbeizielen könnte, Wenn er Namen nennt – wie John Chamberlain Sigmar Police, Luciano Fabro, Anselm Kiefer, Per Kirkeby oder Berry Flanagan – dann sind das für ihn immer nur Beispiele für Überlegungsrichtungen.

Raum zu schaffen für Kunst und Künstler sowie für Begegnungen zwischen Künstlern und deren Werken, das ist sein Konzept. Und er denkt dabei in einer geradezu konservativen Weise. Die rund 1000 Werke von 125 Künstlern, die präsentiert werden sollen, müssen sich entfalten können wie Werke alter Meister in einem klassischen Museum. Das heißt, daß neben der Auswahl der Künstler und ihrer Arbeiten die Inszenierung der Ausstellung im Museum Fndericianum, in der Orangerie und in Teilen der Neuen Galerie einen gleich hohen Stellenwert erhält. Rund zwei Monate wollen sich Fuchs und sein Team für die Hängung und Aufstellung der Bilder und Objekte Zeit nehmen, um dann erst mit der Eröffnung den Vorhang zu lüften und den Blick der Besucher auf das Einzelwerk oder auf Dialoge zwischen unterschiedlichen Arbeiten zu lenken.

Mehr als bei allen vorangegangenen documenten wird die Gestaltung der Ausstellung selbst zur Diskussion stehen. Fuchs hat in dieser Pressekonferenz dazu beigetragen, daß die Ansprüche und Erwartungen in dieser Hinsicht weiter wachsen. Gelingt es ihm und seinem Team nicht, die documenta 7 als spannende Erzählung oder Spaziergang voller Überraschungen (wie er es versprochen hat) vorzuführen, kann das Konzept auch sehr schnell in sich zusammenbrechen. Die hitzigen Auseinandersetzungen in der Fachwelt sind voraussehbar.

Seine Überlegungen zur documenta-Planung hat Fuchs in einem fiktiven Brief an einen Künstler formuliert, Darin beschreibt er vornehmlich das geistige und räumliche Umfeld, das seiner Ansicht nach der Kunst ihre Entfaltung ermöglicht. Er bekennt sich darin auch zu der Position, daß der Modernismus in der Kunst (die Linie, die von Cézanne über Mondrian zu Minimal- und Concept-Art führt) als internationale Sprache nicht mehr funktioniere und zum Stil verkommen sei. Diese neue Situation habe das Aufblühen von Dialektarten der Kunst (nationale, landschaftliche und lokale Bezüge im Kunstwerk) gefördert. Die documenta 7 nun mache sich zur Aufgabe, die sich zeigenden Fronten zu überwinden, indem sie Künstler beider Lager ins Gespräch bringe. Beispielsweise habe der (mit äußerster Strenge und Askese arbeitende) Amerikaner Ellsworth Kelly Interesse daran, in einem Raum mit (dem sehr expressiv und spontan malenden) Georg Baselitz zusammengebracht zu werden. Tatsächlich ist der Kunstbetrieb insgesamt so organisiert, daß sich diese Werke sonst nie begegnen.

Der Umfang an Fakten, die mitgeteilt wurden, war gering. Notiert werden konnte da nur, daß alle Arbeiten – auch die von älteren Künstlern – in den beiden letzten Jahren angefertigt sein sollen; daß Oldenburg, Beuys, Merz, Graham und Kirkeby größere Skulpturen in der Stadt verwirklichen wollen; daß die Hälfte der eingeladenen Künstler zu den „Jungen“ zählt; und daß wiederum der zweibändige Katalog zu einem eigenen Kunstwerk werden soll.
Der finanzielle Rahmen der documenta 7, die mit einem 6,9- Millionen-Etat ausgestattet ist, bleibt trotz aller Sparmaßnahmen gesichert. So versicherten jedenfalls die zuständigen Politiker. Allerdings wird die Finanzlage kaum auf ein bedeutendes Rahmenprogramm hoffen lassen.

HNA 3. 10. 1981

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