Gesetz, Serie und Zufall

In der 167 Namen umfassenden Künstlerliste zur documenta 7 sind vier Duos aufgeführt. Die Aktionen und Werke von Marina Abramovic/Ulay, Bernd und Hilla Becher sowie Gilbert & George entstehen nur aus der partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Barbara und Gabriele Schmidt-Heins hingegen werden zwar ebenfalls meist gemeinsam zur Teilnahme an Ausstellungen eingeladen, sie erscheinen auch als Einheit und beschäftigen sich mit verwandten Aufgaben, doch arbeiten sie an ganz individuellen Projekten. „Es gibt kaum Sachen, die austauschbar sind,“ meinen sie.

Barbara und Gabriele Schmidt-Heins nehmen ihr Zwillingsschicksal (Jahrgang 1949) als Herausforderung – sie erproben, wenn man so will, an gleichartigen Aufgabenstellungen ihre Unterschiedlichkeit. Da die Mutter Künstlerin war, ist ihnen der Umgang mit Kunst von Jugend an vertaut. „Mit sechs Jahren haben wir Ölbilder gemalt, die man heute noch ansehen kann.“ Als prägend empfinden sie die Zeit der 60er und frühen 70er Jahre, in denen die Konzept-Kunst ihre Blüte erlebte. Für Gabriele Schmidt-Heins ist der Zugewinn der neuen Erlebnisebene in der Kunst (durch Serielles, Realzeit und Realraum) gleichbedeutend mit der Erfindung der Zentralperspektive für die Malerei.

Etwas so zu gestalten, daß der zeitliche Ablauf der Arbeit auch dem erst später hinzukommenden Betrachter erfahrbar wird, war ein Ziel, das die Schwestern schon während ihres Studiums anpeilten. Die Buchform bot sich hier an, denn beim Blättern, beim Aufschlagen der einzelnen Seiten, bewegt sich der Betrachter auf den zeitlich getreuen Spuren der Künstlerinnen, die eine nach der anderen Seite bearbeitet, gestaltet haben. Das Buch liefert zugleich den Ansatz zum Seriellen, den Barbara und Gabriele Schmidt-Heins aus immer neuen Perspektiven angehen: Planmäßig werden mit der Stoppuhr in der Hand Striche nebeneinander auf eine Seite gesetzt, werden Schnittpunkte von geometrischen Linien ausgewürfelt, werden Seiten nach gesetzten Regeln oder nach Zufäl •ligkeite bemalt und bedruckt. In allem ergibt sich ein Wechselspiel aus Willkür und Zufall, werden Gesetz und Serie zu Grundbedingungen der künstlerischen Arbeit.

Barbara und Gabriele Schmidt-Heins haben nach diesen Prinzipien Bücher gestaltet, in sie hineingezeichnet und –gemalt haben. Bei der vorigen documenta (1977) waren sie in der Abteilung Künstlerbücher mit Arbeiten vertreten. Vielen Besuchern ist diese Beteiligung entgangen, weil die Bücher durchweg in Vitrinen verschlossen waren und so dem Publikum ihre eigentlichen Botschaften vorenthielten.

Bei dieser documenta aber drängen sich die Arbeiten der beiden stärker nach vorne, denn aus der Buchform haben Barbara und Gabriele Schmidt-Heins in den letzten 14 Monaten Serien von Wandbildern und Raumobjekten entwickelt. Es begann mit der Aufreihung von Buchformen und in den Raum hineinragenden Seiten an Wänden oder mit aufgefächerten Leporellos. Als Barbara Schmidt-Heins für die quer zur Wand aufgereihten Seiten größere Formate wäh1en wollte, brauchte sie Stabilisatoren – so entstanden Wandobjekte mit bis zum Fußboden reichenden „Stützpfeilern“. Ihre Schwester gelangte gleichzeitig zu Wandreliefs, bei denen aus Papier- und Buchformen entwickelte Farbkörper etwa mit Holzstäben in Verbindung und Konkurrenz gebracht werden.

Die Auflösung der geschlossenen Buchform kehrt das Innere nach außen und läßt den malerischen Aspekt der Arbeiten stärker hervortreten. Da fast gleichzeitig die Malerei kräftiger und farbintensiver wurde, hat sich der Werkcharakter stark verändert. Und doch wollen die Künstlerinnen nicht als Malerinnen mißverstanden werden.

Daß sie trotz räumlicher Trennung im Umfeld von Hamburg auch diesen jüngsten Entwicklungssprung fast parallel vollzogen haben, können Barbara und Gabriele Schmidt-Heins eigentlich nur konstatieren, nicht aber bis ins letzte erklären. So wie sie im Gespräch ihre Aussagen gegenseitig ergänzen, passen auch ihre Arbeitsweisen stets zusammen, ohne daß sie deckungsgleich würden oder daß eine Konkurrenz entstünde.

HNA 27. 3. 1982

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