Ich weiß nichts von Fotografie. Oder: Fotografie interessiert mich nicht. Das sind Kernsätze eines Künstlers, dessen Arbeiten seit mehr als einem Jahrzehnt ohne das Hilfsmittel Fotografie nicht denkbar wären. Wenn sich der Holländer Jan Dibbets (Jahrgang 1941) so entschieden von der Fotografie distanziert, dann wehrt er damit auch das häufige Mißverständnis ab, er sei ein Fotokünstler.
In der documenta 5 (1972) waren seine Arbeiten in der Abteilung Idee/Konzept zu sehen. Aber Dibbets begreift sich auch nicht als ein Konzept-Künstler. Insofern sieht er der documenta 7 zuversichtlich entgegen, weil sie von dem Schubladen-Denken ihrer Vorgängerinnen Abschied nimmt. Wenn Dibbets großformatige Bilder mitten unter Gemälden hängen, dann ist ers zufrieden: Obwohl er seit fünfzehn Jahren nicht mehr malt, liebt er die Malerei und fühlt sich ihr stark verbunden.
Jan Dibbets hat die Malerei aufgegeben, weil er in ihr keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr sah. Die Fotografie als technisches Medium .hingegen schien und scheint ihm noch entwicklungsfähig, da es eigentlich noch nicht zu sich selbst gekommen sei.
Der erste große Werkkomplex, durch den Dibbets Anfang der 70er Jahre bekannt wurde, waren seine Perspektivkorrekturen. Da hatte er beispielsweise eine Küstenlandschaft in einzelnen Abschnitten fotografiert und die Aufnahmen so zusammengefügt, daß ein geschlossenes Panorama entstand, das auf einer überschaubaren Fläche einen Blickwinkel von 180 Grad zusammenraffte und möglicherweise sogar die Erdkrümmung zu dokumentieren schien.
In anderen Bildserien beschäftigte sich Dibbets mit Struktur- und Farbstudien. Immer war und ist für ihn der Ausgangspunkt eine Wirklichkeitserfahrung – eine Landschaft, ein Fußboden oder eine Decke. Mit Hilfe der Fotografie lichtet er abschnittweise diese Flächen oder Strukturen ab, wobei er durchweg mehr erfaßt, als man aus einer Perspektive wahrnehmen kann. Die Fotos werden schnell und ohne Drang nach Schönheit gemacht.
Liegen die Aufnahmen vor, beginnt die eigentliche Arbeit, die sich über ein bis zwei Jahre hinziehen kann: Dibbets ordnet die sich überschneidenden Bilder auf einem großen Bildträger und verkürzt den 360-Grad-Rundblick auf einen Halb- oder Viertelkreis.. Diese Anordnung korrigiert Dibbets immer wieder, bis er seine Lösung gefunden hat. Nun bindet er die Bilderreihung in eine Zeichnung ein, die auf der ansonsten freien Fläche die in den Fotos erkennbaren Strukturlinien fortsetzt, also verstärkt und verständlich macht. Manchmal sind die zeichnerischen Beigaben so verhalten, daß man sie leicht übersehen kann, in anderen Fällen drängen sie die Wirkung der Fotos zurück.
Letzteres gilt vor allem für die Arbeiten aus jüngster Zeit, in der sich Dibbets vornehmlich mit Architekturpanoramen auseinandergesetzt hat. Die meisten dieser Bilder tragen den Titel Saenredam – nach dem hoIländischen Maler des 17. Jahrhunderts, der in seinen Architekturbildern das Blickfeld weit uberdehnt und so mehrere Ansichten miteinander verbunden hat. Dibbets setzt diese Malerei mit anderen Mitteln fort.
HNA 20. 3. 1982