Mehr als nur Spekulationen?

Am Donnerstag gibt Catherme David ihre Pressekonferenz zur documenta X. Trotzdem wird spekuliert: Prof. Burckhardt verlangt Alternativkonzepte, für den Fall, daß David resigniert.
Befinden sich die Planungen für die documenta X (1997) in einer Krise, oder wird die Krise nur von jenen herbeigeredet, denen das eine
oder andere an der Planung nicht gefällt? Die Frage zu beantworten, fällt nicht leicht. Denn einerseits ist es richtig, daß die atmosphärischen Bedingungen lange nicht so ungünstig waren, wie sie seit Beginn des Jahres sind. Erst gab es den Streit zwischen documenta-Geschäftsführer Roman Soukup und Kassels Kulturdezernentin Irmgard Schleier um Kompetenzen, dann gab es Probleme mit Soukup allein, die schließlich zu seinem Rausschmiß führten. Für die documenta und deren künstlerische Leiterin Catherine David ist es überdies mehr als schlecht, daß bei der Aufsichtsratssitzung in der vorigen Woche kein neuer Geschäftsführer benannt werden konnte. So könnte der sicherlich falsche Eindruck stehen, es fände sich niemand, diese Geschäfte zu betreiben.

Auf der anderen Seite ist verwunderlich, daß selbst eingefleischte Kenner der Szene so ungeduldig sind und nur deshalb, weil sie von Catherine David nichts Inhaltliches zur documenta erfahren haben, an der Befähigung der französischen Ausstellungsmacherin zweifeln. Sind es doch Vorbehalte gegenüber der ersten Frau an der Spitze dieser Kunstausstellung? Man könnte es fast meinen.

Dabei scheinen die Erwartungen an die für Donnerstag in der documenta-Halle angesetzte erste Pressekonferenz von Catherine David nicht nur auf lokaler Ebene groß zu sein. Immerhin haben sich rund 75 Journalisten angemeldet. Auch ist damit zu rechnen, daß nicht nur das Logo, sondern auch die Mitarbeiter und Orte der nächsten documenta vorgestellt werden. Im übrigen wird wohl Catherine David den Hintergrund beschreiben, vor dem sie die Struktur der documenta bildet. Auch die Berufung von Hortensia Völckers zur Assistentin und von Claudia Herstatt zur Pressesprecherin (eine Funktion, die sie schon 1992 bei Jan Hoet hatte) spricht für eine sorgfältige und kontinuierliche Planung.

Gleichwohl gibt es innerhalb und außerhalb Kassels Unruhe, die offensichtlich von interessierter Seite geschürt wird. Da gibt es das von Prof. Lucius Burckhardt, einem kritischen Mentor der documenta, kolportierte Gerücht, Hessens Ministerpräsident Hans Eichel sei mit der Wahl Catherine Davids nicht so glücklich, weil sie die 1992 eigens erbaute documenta-Halle links liegen lasse. Dazu Claudia Herstatt: Die Halle werde in die Ausstellung einbezogen. Dann heißt es, in Köln und Berlin würde der Zeitplan der documenta in Frage gestellt und würden schon Alternativen für die künstlerische Leitung wie Kaspar König und Jean-Christophe Ammann oder Manfred Schneckenburger und Rudi Fuchs gehandelt.

Vor diesem Hintergrund ist der Brief zu sehen, den Prof. Burckhardt und seine Frau u. a. an Eichel schickten: Für den Fall, daß Catherine David resigniere, heißt es da, müsse Vorsorge getroffen werden. Die documenta dürfe nicht ausfallen. Da sich die Großausstellung sowieso überlebt habe, sollte man also einen neuen, anpassungsfähigen Typus erproben.
Dies wäre nach Einschätzung der Burckhardts eine Kunstschau, die aus etwa 30 Einzelausstellungen bestehen würde, für die jeweils ein „Mini-Direktor“ verantwortlich wäre. Auf diese Weise ließen sich innerhalb kurzer Fristen ganz unterschiedliche Sichtweisen parallel realisieren. Die Kosten würden nicht höher als bei einer traditionellen Ausstellung.

HNA 3./4. 10. 1995

Schreibe einen Kommentar