Da Museum im Museum

Mies van der Rohe, der große Architekt einer zugleich klaren und offenen Bauweise, wird neu entdeckt und gefeiert. Es sind aber weniger die Bauplaner, die seine Ideen bewußt machen, sondern Künstler. Dabei geht ein wesentlicher Impuls von Krefeld aus, wo zwei benachbarte, von Mies van der Rohe zwischen 1927 und 1935 konzipierte Landhäuser seit geraumer Zeit als Museen für aktuelle Kunst genutzt werden.

Viele der nach Krefeld eingeladenen Künstler sind von der schönen, funktionellen und großzügigen Architektur so begeistert, daß sie ihre Arbeiten als Antworten auf die bauliche Struktur formulieren. Eine der radikalsten Ausstellungen findet dort bis 11. Juli statt: Der Franzose Daniel Buren und der Amerikaner Michael Asher haben unabhängig voneinander, aber parallel mit unterschiedlichen und doch verwandten Mitteln in den beiden Häusern Esters und Lange Installationen geschaffen, in denen sie mit dem Gestaltungsprinzip Architekten spielen.

Der in Venice/Kalifornien lebende Asher (Jahrgang 1943) arbeitet immer direkt mit dem Raum, den er vorfindet. Häufig nimmt er Wandelemente zu Hilfe, mit denen er dann die Raumaufteilung umdreht oder die Außenstruktur nach innen (und umgekehrt) überträgt. Diese Arbeiten, die er als Skulpturen begreift, sind ortsgebunden, also nicht übertragbar. Wenn ein Sammler ein Werk von Asher erwerben will, dann wird er nichts Fertiges übernehmen können; der Künstler wird ihm vielmehr anbieten, für ihn etwas zu gestalten.

Michael Asher war von der Architektur der beiden Krefelder Häuser so angetan, daß er deren Ruhm bis in die documenta 7 hineinträgt: Im Obergeschoß der Orangerie rekonstruierte er im Maßstab 1:1 das Erdgeschoß des Hauses Esters. Aus Spanplatten gestaltete er (anhand der im Originalhaus festen Wände) das Raumvolumen nach; selbst die Zimmerhöhe ist an den aufgerichteten Wänden und Pfeilern abzulesen.

Die Installation von Asher hat zur Folge, daß aus diesem Teil der Orangerie die klare Ausstellungsarchitektur von Walter Nikkels verdrängt wurde. Vielen Besuchern wird das gar nicht auffallen, da die Rekonstruktion der von Mies van der Rohe aus einem Achssystem entwickelten Räume in ihrer Einfachheit und Strenge ebenso souverän sind. Ashers Arbeit aber wird vor allem deshalb ganz zu einem Teil der Ausstellungsarchitektur werden, da die von ihm errichteten Wände als Ausstellungsflächen für andere Kunstwerke genutzt werden.
Darin liegen gerade Reiz und Spannung dieses Beitrages: Ein nach wie vor bewundernswertes Haus, das in Krefeld steht, wird als Museum genutzt; es schlägt den Künstler so sehr in seinen Bann, daß er die Raumstruktur in ein anderes Museum, die Orangerie in Kassel, überträgt; da steht dann nun im Museum ein anderes, das zugleich von anderen Künstlern genutzt werden kann. Und der Urheber ist sich bewußt, daß ein Besucher, der kein Raumempfinden hat, diesen Beitrag leicht übersehen kann.

HNA 29. 5. 1982

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