Besucher bleiben allein

Einer der bekanntesten und umstrittensten deutschen Künstler der Gegenwart ist der in Heidelberg lebende Grafiker Klaus Staeck (Jahrgang 1938). Umstritten ist Staeck vor allem deshalb, weil er mit seinen bissig-ironischen Postkarten und Plakaten nicht nur Aufklärungsarbeit im Allgemeinen versucht, sondern oftmals konkret (partei-)politisch Stellung bezieht. Da ihm dies aber meist auf eine unvergleichliche pointiert bildhafte Art gelingt, hat er trotz aller Ausflüge in die Politik den Kunstbereich als Basis nie verloren. Ja, ohne den Freiraum der Kunst wäre das öffentliche Wirkungsfeld von Staeck längst zur schmalen Insel geworden.

In der documenta 7 ist Staeck neben Hans Haacke und Jörg lmmendorff einer der wenigen Künstler, die sich unmittelbar mit politischen Themen auseinandersetzen. Der Grafiker ist aber nicht nur mit seinem Verkaufsstand in der Orangerie vertreten, sondern Plakate von ihm sind auch in die Ausstellung einbezogen. Die wirkungsvollste Plazierung ist dabei in dem zentralen Saal des Fridericianums gelungen: Da scheint der auf die Wand gemalte „schießende Mann“ von Jonathan Borofsky vor dem Staeck-Plakat „Vorsicht Kunst“ zu fliehen.

Kunst ist diesem Plakat zufolge eine höchst explosive, lebendige Sache. Klaus Staeck aber meint, daß diese Setzung ganz unfreiwillig im ironischen Gegensatz zum Inhalt dieser doeumenta stehe. Er, der Kunst bisher immer als einen Kraftquell verstanden habe, müsse große Mühe aufwenden, um mit der hier ausgebreiteten Kunst fertig zu werden. Mit diesem Gefühl der Unsicherheit, so meint Klaus Staeck, stehe er aber nicht allein da. Und er weiß, wovon er spricht, wenn er sich auf Publikumsreaktionen beruft, denn bisher hat er 32 Diskussionen mit Besuchern über Kunst und Politik im Museum Fridericianum gefuhrt. Auch am Sonntagabend will er sich dort wieder dem Gespräch stellen.

Zu diesen Diskussionen hat ihn weder jemand eingeladen noch aufgefordert. Sie haben sich einfach aus einem Workshop deutsch-französischer Künstler zu Anfang der documenta entwickelt. Da hatte Klaus Staeck die Erfahrung gemacht, daß sich schnell zwanzig, vierzig Leute zusammenfinden, wenn nur zwei halböffentlich über die Kunst diskutieren. Die Diskussionen wurden – ähnlich wie die täglichen Gespräche von Helmut Bröker in der Neuen Galerie – zu Rettüngsinseln für die Besucher, die in der Ausstellung selbst keine Antwort auf ihre vielen Fragen fanden, die sich allein gelassen fühlten.

Schon bei der vorigen documenta hatte Staeck ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Ausstellung, die sieh als Mediendocumenta verstand, so sein damaliges Urteil, fand keinen Weg für die Kommunikation der Besucher. Jetzt erneuert und verschärft er den Vorwurf: Jeder Besucher werde in der Statistik als Erfolgsbeleg verbucht, doch niemand frage, mit welchen Gefühlen der einzelne die documenta verlasse. Die Ausstellungsleitung habe sich keine Gedanken darüber gemacht, was mit den Hunderttausenden, die hierherkämen, geschehe.

Die Besucher, die zu ihm in die Diskussionen gekommen seien, hätten keineswegs nur böswillig argumentiert; oft hätten sie nur nach Hilfestellungen gesucht. Und für ihn ist es bezeichnend, daß – mit Ausnahme der Führungen – alle Hilfestellungen für das documenta-Publikum von außen angeboten worden seien.

HNA 25. 9. 1982

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